Kommentar Islamistischer Terror/Türkei - Nur schlechte Optionen

Heraushalten geht nicht mehr. Über Wochen begründete die türkische Führung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan ihr Nein zu einer aktiven Teilnahme an Militäraktionen gegen die Dschihadisten vom "Islamischen Staat" (IS) mit der Gefahr für die vom IS verschleppten türkischen Geiseln.

Nun sind die Geiseln wohlbehalten wieder in der Türkei. Nach der Freilassung ihrer Staatsbürger kann die Türkei nicht mehr weiter passiv bleiben, wenn in den Nachbarländern Syrien und Irak eine brutale Terrorgruppe ihr Machtgebiet ausweitet und sich westliche und arabische Verbündete daran machen, gegen diese Organisation vorzugehen. Allerdings hat die Türkei nur die Wahl zwischen schlechten Optionen.

Entscheidet sie sich für die volle, also auch militärische Teilnahme an der Offensive gegen den IS, riskiert die Türkei Vergeltungsaktionen der Dschihadisten, die bereits entsprechende Drohungen ausgestoßen haben. Beschließt Ankara, den Verbündeten nur das Mindestmaß an Unterstützung zukommen zu lassen, verstärkt sie den bereits vorhandenen Verdacht, mit dem IS zu kooperieren.

Vor einer Festlegung erwartet Ankara von den USA einen Plan für die Zukunft von Syrien und Irak nach einem militärischen Sieg über den IS. Die Forderung ist an sich richtig: Das Fehlen einer durchdachten politischen Strategie machte den amerikanischen Feldzug zum Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 zu einem Desaster. Allerdings zeigte die Türkei bisher nur wenig Interesse an einer solchen gemeinsamen Strategie, weil sie in Syrien darauf hoffte, von einem Sturz von Baschar Assad zu profitieren.

An diesem Punkt offenbart sich der Widerspruch zwischen der Haltung der Türkei und der des Westens. Die USA und Europa sehen den "Islamischen Staat" als gefährlichste Bedrohung - dagegen betrachtet Ankara nach wie vor Assad als größtes Übel. Deshalb ist die Türkei bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die gegen Assad kämpfen. In der Geiselaffäre ließ sich die türkische Regierung offenbar auf einen Tauschhandel mit dem IS ein: ausländische Dschihadisten in türkischen Gefängnissen gegen die Geiseln.

Dieser Gegensatz zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern überschattet die Planungen für ein Vorgehen gegen den IS. Wenn ausgerechnet das Nato-Land, das direkt an das Machtgebiet des "Islamischen Staates" angrenzt, die Mitarbeit im Kampf gegen die Extremisten verweigert, dann schwächt das die internationale Koalition erheblich. Die Türkei lässt sich bei diesem Thema von anderen Prioritäten leiten und kann deshalb kaum in eine konsequente Anti-IS-Strategie eingebunden werden.

Schon wird in den USA die Frage diskutiert, ob Ankara überhaupt noch als Partner betrachtet werden kann. Präsident Erdogan steuert einen Kurs, bei dem für sein Land viel auf dem Spiel steht.

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