Kommentar Prozess gegen NSU - In der Dunkelkammer

BERLIN · Ein Gericht stößt an seine Grenzen - noch bevor der Prozess überhaupt begonnen hat: Wenn in drei Wochen vor dem Oberlandesgericht München das Strafverfahren gegen mutmaßliche Terroristen und Terrorhelfer des Neonazi-Netzwerkes "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) eröffnet wird, bleibt die Türkei nach dem Stand der Dinge gewissermaßen außen vor. Dieser Aspekt ist wesentlich, weil acht der zehn Mordopfer der NSU türkische oder türkischstämmige Kleinhändler waren.

Der Schwurgerichtssaal A 101, der für den weltweit beobachteten Prozess eigens umgebaut worden ist, erweist sich für den öffentlichen Ansturm bei Weitem als zu klein. Für den türkischen Botschafter in Deutschland soll erst noch ein Beobachterplatz im Gerichtssaal gefunden werden. Auch viele Angehörige der Opfer bangen, ob sie die Anklage gegen Beate Zschäpe und andere im Saal verfolgen können. Und: Unter den 50 zugelassenen Medien ist kein einziges türkisches vertreten. Radio Arabella aus München darf, die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi darf nicht. Kein Wunder, dass es Kritik hagelt.

Der Fall der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe sowie ihrer angeblich selbst getöteten Lebens- und Gesinnungsgenossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wirft viele (bislang unbeantwortete) Fragen auf, die das Land, die Justiz, die Ermittler, die "Geheimen" und insgesamt vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Bundestag, Bayern, Sachsen, Thüringen) beschäftigen. Ob Zschäpe, die inzwischen in München-Stadelheim auf den Prozessbeginn wartet, weiter schweigt oder ihr Wissen über Motive und Taten der Zelle öffentlich macht, ist entscheidend für den Verlauf des Verfahrens. Für Generalbundesanwalt Harald Range ist sie die wichtigste Angeklagte im Prozess gegen den NSU.

Dabei verlangen auch die teilweise kaum erklärlichen Pannen des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern, der es nicht schaffte, das Puzzle jener dubiosen Morde im gesamten Bundesgebiet zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, nach Aufklärung. Was verbirgt sich in der Dunkelkammer der "Geheimen", auf welche Quellen vertrauten sie, welchen Freiraum gaben sie diesen Quellen, und nahmen sie dabei schwere Verbrechen womöglich billigend in Kauf? Nach einer bislang als geheim beschriebenen Liste der Sicherheitsbehörden soll die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle gar 129 Helfer gehabt haben.

Als Konsequenz aus kapitalen Pannen und nicht mehr zu erklärender Aktenvernichtung in Sachen NSU im Amt räumte Heinz Fromm im vergangenen Jahr seinen Posten als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Seither wird an einer Reform der Strukturen des Geheimdienstes gearbeitet. Zudem hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine von Bund und Ländern gemeinsame Verbunddatei Rechtsextremismus einrichten lassen. Dort sammeln nun 36 Sicherheitsbehörden Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten. Ein Anfang. Genau wie vor dem Oberlandesgericht München. Am 17. April beginnt dort ein Prozess, wie ihn das Land noch nicht gesehen hat. Es geht dabei auf eine bestimmte Art auch um das Gewissen einer Nation.

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