Kommentar Gewalt in der Türkei - Bomben statt Dialog

Istanbul · Zwei Jahre lang hielt der Waffenstillstand zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen PKK. In dieser Zeit wuchsen die Hoffnungen von Türken und Kurden auf eine friedliche Zukunft. Eine ganze Generation war im Schatten eines Krieges aufgewachsen, der 1984 begann und der viel Leid über das Land brachte.

Mehr als 40 000 Tote, mehr als 3000 zerstörte Dörfer, mehrere Millionen Flüchtlinge, die aus dem Kurdengebiet nach Istanbul und bis nach Europa flohen. Die Türkei wollte all das hinter sich lassen. Doch jetzt droht ein neuer langer Krieg.

Seit drei Wochen ermordet die PKK wieder türkische Soldaten und Polizisten. Ankara antwortet mit den schwersten Luftangriffen seit langer Zeit. Diesmal solle die Kurdenorganisation "erledigt" werden, heißt es bei türkischen Regierungsvertretern.

Wie oft haben die Türken das schon gehört. Dabei ist allen längst klar, dass die Kurdenproblematik nicht mit der Waffe zu lösen ist, weder von der türkischen Armee noch von der PKK. Nur eine politische Lösung kann am Ende den Durchbruch bringen. In den zwei Friedensjahren redete die Türkei mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan über die Bedingungen für eine solche Lösung. Man kann kritisieren, dass dabei zu viel taktiert und zu wenig entschlossen gehandelt wurde. Doch immerhin wurde geredet und nicht geschossen und gebombt, so wie jetzt wieder.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich vom Friedensprozess abgewandt, weil er überzeugt ist, dass die Verhandlungen bei der Wahl im Juni für die Schlappe seiner Regierungspartei AKP sorgten. Die PKK bombt wieder, weil ihre Führung überzeugt ist, dass die türkische Regierung mit dem Islamischen Staat gemeinsame Sache gegen die Kurden macht.

Die neue Gewalt birgt das Risiko, dass junge Türken und Kurden den Hass auf den jeweils Anderen auffrischen und dass damit die Grundlage für ein neues Jahrzehnt voller Krieg und Elend gelegt wird. Schließlich sehen die jungen Leute gerade dabei zu, wie ihre Chefs die Politik als Lösungsweg verwerfen und den Krieg wählen.

Erdogan könnte erleben, dass sein im Kern taktisch motiviertes Manöver - eskalierende Spannungen als Mittel des Wahlkampfes - aus dem Ruder läuft und in einen ausgewachsenen neuen Krieg mündet. Das droht vor allem dann, wenn die PKK sich entschließen sollte, zu landesweiten Massenprotesten aufzurufen. Nun hat der Krieg die Metropole Istanbul erreicht. Im vorigen Jahr reichten Kurdenunruhen von ein paar Tagen, um Chaos anzurichten und mehr als 30 Menschen zu töten. Diesmal wird es schlimmer.

Selbst wenn es gelingt, den neuen großen Krieg zu vermeiden, ist nicht klar, wie es auf lange Sicht weitergehen soll. Wenn beide Seiten nicht mehr in den politischen Prozess investieren, ist es bis zum nächsten blutigen Knall nur eine Frage der Zeit.

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