Kommentar Generationswechsel bei den Grünen - Rückzug und Aufbruch

BERLIN · Für ihre Beschlüsse sind die Grünen von den Wählerinnen und Wählern hart abgestraft worden. Vor allem Partei- und Fraktionsspitzen haben sich gründlich in dem verschätzt, was sich potenzielle Grünen-Wähler zumuten lassen.

Lange war Ruhe in den grünen Schützengräben. Fast hatte man vergessen, dass Bündnis 90/Die Grünen mal eine Partei war, deren Flügel besonders heftig schlagen, wenn es um Grundsätzliches geht. Früher waren das Fragen wie Krieg und Frieden oder Atomausstieg.

Heute streiten die Grünen über Spitzensteuersätze, über eine Vermögensabgabe für Millionäre und für eine andere Energiewende. Genauer: Sie streiten nicht mehr darüber, sie beschließen sie - und sind dafür von den Wählerinnen und Wählern hart abgestraft worden. Vor allem Partei- und Fraktionsspitzen haben sich gründlich in dem verschätzt, was sich potenzielle Grünen-Wähler zumuten lassen.

Der Traum einer rot-grünen Mehrheit im Bund, den viele Grüne geträumt haben, ist vorbei. Aufgewacht sind sie in einer Wirklichkeit von 8,4 Prozent Zustimmung, die sie ebenso sicher im Bundestag wie aller Voraussicht nach auch zum dritten Mal in Folge in der Opposition lässt.

Vor zwei Jahren schwebten die Grünen nach dem bis heute eigentlich unglaublichen Wahlsieg in der schwarz-gelben Hochburg Baden-Württemberg auf Wolke sieben. 24 Prozent Zustimmung. Beinahe wären sie zur neuen Volkspartei ausgerufen worden. Im Bund waren sie bis wenige Wochen vor der Bundestagswahl stabil bei 13 bis 15 Prozent. Mit der Nähe zur Bundestagswahl aber kam der Absturz.

[kein Linktext vorhanden]Wie immer, wenn Wahlziele deutlich verfehlt werden, muss es Verantwortliche geben. Parteichefin Claudia Roth wie auch die beiden Fraktionschefs im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin, ziehen die Konsequenz und geben ihre Ämter ab. Die Wahlniederlage der Grünen ist auch ihre persönliche Niederlage.

Es ist Zeit für einen Generationswechsel. Roth wie Künast liebäugeln jetzt mit dem prestigeträchtigen Amt einer Bundestags-Vizepräsidentin. Womöglich steht hier schon die nächste Kampfabstimmung an. Co-Fraktionschef Trittin, der die Steuererhöhungspläne entscheidend mitformuliert hat und gerne Finanzminister einer rot-grünen Bundesregierung geworden wäre, musste am Ende einsehen, dass auch seine Zeit an der Fraktionsspitze abgelaufen ist.

Vorerst sind die Grünen wieder dort angekommen, wo sie bereits 2005 waren. Selten waren ihre Wahlaussichten so gut, selten hat eine Partei so wenig daraus gemacht. Die Grünen können ihre Stammwähler mobilisieren. Mehr aber auch nicht. Dabei ist Opposition schon lange kein Selbstzweck mehr. Die Grünen wollen, wo möglich, regieren. Das muss auch ihr Anspruch sein. Doch dafür müssen sie ein Wahl- respektive Regierungsprogramm anbieten, das Wechselwähler aus der politischen Mitte anzieht und nicht abschreckt.

Die Grünen müssen nach dieser Wahlniederlage für eine echte Neuaufstellung eine Richtungsentscheidung treffen. Gehen sie nach links, dann mauern sie sich auf absehbare Zeit ein, weil eine Lehre aus diesem Wahlergebnis ist: Koalitionen müssen im Zweifel auch über politische Lager hinaus möglich sein. Zumindest muss eine realistische Option dafür da sein. Oder streben sie in die Mitte, wo die FDP bis auf weiteres Platz gemacht hat? Richtungsentscheidungen sind immer auch Entscheidungen über das Führungspersonal. Im Falle der Grünen wird es auch eine Frage der Parteiflügel werden. Der Kampf geht weiter.

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