Kommentar Generaldebatte des Bundestags - Zwei Welten

Früher, ja früher, da waren die Generaldebatten des Bundestags aus Anlass der Haushaltsberatungen Sternstunden des Parlaments. Heute sind sie so müde, dass man sich den Bundestag als Talk-Show wünschen würde.

Wo doch angeblich dort politisch nichts zu lernen ist. Das Gegenteil ist richtig: Talkshows tun mittlerweile mehr für die politische Bildung als Bundestagsdebatten. Gestern war es wieder so, gestern war es besonders so. Das hat seinen Grund auch in den neuen Mehrheitsverhältnissen.

Eine erdrückend große Koalition, eine erschreckend schwache Opposition aus Linken und Grünen, bei der insbesondere die Grünen in einer bemitleidenswert schlechten Form sind. Das tut dem Parlament nicht gut. Aber das tut der Bundeskanzlerin gut. Angela Merkels Stern strahlt heller denn je, gerade in diesen Tagen, da sie die längste Kanzlerschaft eines Sozialdemokraten, die von Helmut Schmidt, eingeholt und überholt hat. Nur Konrad Adenauer (14 Jahre) und Helmut Kohl (16 Jahre) liegen noch vor ihr - doch der Abstand ist angesichts ihrer achteinhalb Jahre gewaltig groß.

Es wäre uncharmant, jetzt an die Blinden zu denken, unter denen der Einäugige König ist. Aber etwas dran ist schon an diesem Vergleich: Merkels Stern strahlt so hell, weil um sie herum mehr Schatten als Licht ist. In der eigenen Partei sowieso. Aber auch in der SPD ist der erste Lack ab. Sigmar Gabriel hat mit seiner Energiewende die Mühen der Ebene längst erreicht, ebenso Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine-Krise.

Das Erfolgsmotto Merkels ist in dieser Krise das gleiche wie in der Euro-Krise: Ohne sie wäre es schlimmer gekommen. Das stimmt gewiss. Aber eigentlich dürfte es nicht darüber hinwegtäuschen, dass es immer noch kein Konzept gibt: kein Konzept gegen das wachsende Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd in Europa, kein Konzept zur Einbindung Russlands in Europa. Die Schere zwischen Nord und Süd geht weiter auseinander, die zwischen West und Ost auch wieder.

Den Vorwurf fehlender Konzeptionen muss sich Merkel auch immer wieder in der Innenpolitik gefallen lassen - selbst wenn sie das nicht zu interessieren scheint. Der Erfolg ihrer Politik ist in erster Linie ein Erfolg der Schröderschen Reformpolitik. Sie erntet, was er gesät hat: die SPD bezahlt, die Union kassiert. Stolz verkündete die Kanzlerin gestern den ersten Haushalt seit 1969 ohne neue Schulden. Das ist ein Erfolg, so wie es ja stimmt, dass es Deutschland wirtschaftlich gut geht, dass die Zahl der Arbeitslosen gering ist, dass die Steuereinnahmen sprudeln.

Aber das ist nur die eine Welt. Die andere ist beispielsweise die der klammen Kommunen, der maroden Bauten, Brücken und Straßen - und vor allem das Verschließen der Augen vor den Folgen des demografischen Wandels. Aber das ist eben nicht Merkels Welt.

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