Gedenken an die Rechtsterror-Opfer: Sternstunde

Es ist ein Ausnahmevorgang, wenn sich eine Regierungschefin öffentlich für den Staat schämt, das Wort von der "Schande" in den Mund nimmt und die Betroffenen um eine zweite Chance für die Ermittlungsbehörden bittet.

Aber die Ansprache der Kanzlerin im Konzerthaus war, wie die ganze Feierstunde, nur folgerichtig. Die Ermittlungsbehörden haben sich in zehn Mordfällen den Herausforderungen nicht gewachsen gezeigt. Sie haben ohne hinreichende Prüfung Morde und Anschläge dem Ausländermilieu zugeordnet. Die naheliegende Variante eines rechtsextremistischen Motivs hat man ohne nähere Prüfung verworfen.

Die Ermittler haben sich auch an den Angehörigen der Mordopfer versündigt, die schlicht mit dem kriminellen Milieu in einen Topf geworfen wurden. Es ist das Verdienst des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, die gestrige Veranstaltung angestoßen und angetrieben zu haben. Aber es ist das Verdienst der Regierungschefin, die Missstände glasklar öffentlich benannt und dabei die richtige Tonalität gefunden zu haben.

Das Leid, einen Angehörigen verloren zu haben, kann durch eine Gedenkfeier nicht gelindert werden. Wohl aber kann sie ermöglichen, dass sich Politiker, Ermittler und Angehörige wieder in die Augen sehen können. Und das war allerhöchste Zeit.

Die Frage bleibt: Wie soll es im Umgang mit Rechtsextremismus und -terrorismus weitergehen? Die Ermittler stehen unter dem Druck der sensibilisierten Öffentlichkeit und wollen bis zum Herbst die Ermittlungsergebnisse in Form einer hoffentlich unanfechtbaren Anklageschrift zusammenfassen. Das deckt aber gerade die rein strafrechtliche Seite des Problems ab.

In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist ein Ende dagegen nicht abzusehen. Das beginnt mit der, vor allem im Osten des Landes anzutreffenden, gesellschaftlichen Gleichgültigkeit gegenüber wachsendem Einfluss von Rechtsaußen in der Gesellschaft. Es wird schon als Normalität betrachtet, wenn auf Schulhöfen und in Jugendtreffs braune Gesellen verbal das Ruder übernehmen.

Die Debatte um ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren lenkt von den eigentlichen Problemen im gesellschaftlichen Umgang mit dem Rechtsextremismus ab. Die Befürworter des Verbots legen zumindest die Vorstellung nahe, mit einem solchen Schritt seien alle Probleme im Umgang mit dem rechten Rand gelöst. Das Gegenteil ist der Fall. Das Problem des Antisemitismus oder des Ausländerhasses lässt sich nicht mit einem Parteienverbot bekämpfen.

Vor diesem Hintergrund: Das gestrige Gedenken an die NSU-Opfer war eine Sternstunde der Demokratie in Deutschland. Wer in Deutschland lebt, will eine Kultur des Miteinanders. Das schafft aber keine Immunität gegen rechtsextreme Schockwellen.

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