Kommentar Flüchtlinge und Frankreich - Grenzen

Die Reife einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich vor allem im Umgang mit Minderheiten, mit nationalen, religiösen oder auch sexuellen Minderheiten. Im Umgang mit Fremden oder mit Andersdenkenden.

Wer sie missachtet (oder auch nur lächerlich macht), verstößt gegen den Geist unserer Verfassung. Die Würde, die das Grundgesetz postuliert, ist immer auch die Würde des Anderen; die Freiheit, die es garantiert, immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Dass diese Freiheit ihre Grenzen dort findet, wo Unfreiheit gepredigt und Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung betrachtet wird, versteht sich von selbst. Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz.

So gesehen, ist das Ergebnis der Regionalwahlen gestern in Frankreich eine Katastrophe. Und es macht das Ergebnis nicht besser, dass es ein Ergebnis mit Ansage war. Der rechtsextreme Front National ist stärker als die Konservativen und auch stärker als die demokratische Linke! Das ist beschämend für ein Land, dessen Maxime Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind.

Ein Land, das durch den Terror herausgefordert und verunsichert ist wie kein zweites in Europa. Ein Land, in dem Gleichheit immer häufiger nur auf dem Papier steht, und ein Land, das dabei ist, der Brüderlichkeit abzuschwören. Das alles wäre schon bestürzend genug, wenn Frankreich ein Einzelfall wäre. Aber so ist es nicht. Allüberall in Europa machen sich rechte bis rechtsextremistische Strömungen breit, werden regierungsfähig. Nicht nur in Mittel- und Osteuropa, wiewohl die Wahlergebnisse in Polen und in Ungarn besonders beunruhigend sind.

In Deutschland profitiert von diesem populistisch-völkischen Trend vor allem die AfD. Sie rangiert in Umfragen in der Nähe der zehn Prozent, ist in Sachsen-Anhalt, wo im März gewählt wird, derzeit klar zweistellig. Dagegen helfen keine Appelle. Dagegen hilft kein Jahr der Barmherzigkeit, das der Papst morgen eröffnet, dagegen hilft kein Tag der Toleranz (im November) und kein Tag der Migranten (kurz vor Weihnachten). Dagegen hilft nur eine Politik, die die Ängste der Bürger aufnimmt und entkräftet - jene Ängste, die die rechten Rattenfänger für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Das Schlüsselwort für eine solche Politik heißt Grenzen. Die Bürger nehmen zunächst besorgt zur Kenntnis, dass es keine Grenzen mehr gibt. Dass ihr Staat daran scheitert, sie zu sichern - und dass er sich weigert, Obergrenzen festzusetzen. Jeder weiß, dass es diese Grenzen geben muss, wie auch immer man sie nennt oder definiert. Wer die grenzenlose Aufnahme von Flüchtlingen propagiert, ist nicht nur grenzenlos naiv, er verhindert auch ihre Integration, weil er die Gesellschaft an allen Ecken und Kanten überfordert. Nur wenn hier Realismus einkehrt, gibt es langfristig auch eine Chance für die Wiederherstellung einer europäischen Einheit und für einen würdigen Umgang mit den Minderheiten in ihr.

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