Kommentar FDP - Muntermacher

Berlin · Ist die FDP wieder da? Sie hat jedenfalls keinen Grund, sich ihre Wahlerfolge von Hamburg und Bremen kleinreden zu lassen. Noch vor einem halben Jahr hätte man den Liberalen den Einzug in die beiden Stadtparlamente nie und nimmer zugetraut.

Vielleicht hat das weniger mit überzeugender Programmatik als mit einer Mischung aus jungen und schwungvollen Spitzenkandidatinnen und - zumindest in Bremen - einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung zu tun. Aber Politik besteht nicht nur aus Programm, sondern auch aus Psychologie. Und da sind die jüngsten Wahlergebnisse tatsächlich ein Muntermacher.

Die Frage ist nur, was die Partei nun damit anfangen soll. Leichter ist es zu sagen, was sie ganz gewiss nicht damit anfangen soll. Jetzt dicke Backen zu machen, den Mund voll zu nehmen und große Töne zu spucken - das ist der sicherste Weg zurück ins Elend. Ganz gewiss haben diejenigen Wähler, die nun langsam beginnen, den Gedanken an eine Stimme für die FDP wieder für denkbar zu halten, eines nicht im Sinn: mit ihrem Votum die Rückkehr der Spaß- und Übermutspartei einzuleiten.

Die FDP tut gut daran, andere Anknüpfungspunkte zu finden. Für bürgerliche Wähler scheint heute die langweilig-biedere, aber letztlich in ihrem Kurs verlässliche Genscher-, Gerhardt- und Kinkel-FDP viel attraktiver als all die wetterwendischen und pointenhungrigen Auftritte späterer, schlimmerer Zeiten. Neue Zugkraft gewinnt die liberale Partei deshalb nicht durch staunend machende neue Positionen, sondern zuallererst durch die Einübung einer festen Haltung bürgerlicher Gelassenheit.

Dann freilich muss man sich über Inhalte Gedanken machen. Nichts spricht dafür, dass sich die FDP neu erfinden muss. Dieses hastige Springen von einer Position zur nächsten fixen Idee, die mit der übernächsten Themenblüte auch schon wieder verwelkt - das will niemand mehr. Vor allem ist es auch nicht notwendig. Die große Koalition ist einerseits in ihrer öffentlichen Dominanz so erdrückend, die parlamentarische Opposition aus Grünen und Linken inhaltlich so wenig überzeugend, dass fast automatisch ein Bedürfnis entstehen wird, die Regierung nicht nur von links, sondern auch aus einem besonnenen Standpunkt der Mitte heraus zu attackieren. Angriffspunkte gibt es genug. Man mag die Sozialpolitik der Bundesregierung angemessen finden, aber niemand wird widersprechen, dass es eine Stimme geben muss, die eine nachhaltige Finanzpolitik einfordert.

Diese Rolle kann die FDP übernehmen. Christian Lindner scheint das verstanden zu haben. Er hat die Partei vor Übermut gewarnt und hat von ihr einen großen Vertrauensbonus erhalten. Mit ihm kann die Partei wieder berechenbar, unaufgeregt fest - und im Vergleich zu anderen Zeiten ein bisschen langweilig werden.

Dann erst wird sie wieder spannend.

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