Kommentar Europäische Union - Regieren?

Wo auch immer die Experten der Europäischen Kommission auftauchen, um Staaten wieder auf den rechten Weg zurückzubringen, wird eine Forderung ganz schnell erhoben: Es müssen effiziente Verwaltungsstrukturen her und notfalls auch ein personeller Überhang beseitigt werden.

Diese Weisheit ist aber nicht für die Adressaten, sondern auch für die Absender einer solchen Botschaft richtig. Die Verkleinerung der EU-Spitze war ein zentrales Anliegen des Lissabonner Vertrages. Stattdessen ist noch nach Fertigstellung des Textes wieder so lange herumgedoktert worden, bis feststand, dass die EU-Führung nicht nur nicht verkleinert, sondern sogar noch ausgeweitet werden würde.

Eine Mannschaft mit 28 Kommissaren ist schlichtweg nicht regierbar - und nicht effizient. Dass diese Lösung vom heutigen EU-Gipfel erst einmal verlängert wird, mag überraschend kommen, unverständlich ist sie indes nicht. Obwohl im nächsten Jahr das Europa-Parlament, die Kommission sowie drei weitere Top-Jobs an der Spitze der Union neu besetzt werden und sich somit eine ideale Chance für eine grundlegende Reform ergibt.

Doch die Chance passt nicht in die Landschaft. Wer wollte beispielsweise Großbritannien, das ohnehin kurz vor dem Absprung zu stehen scheint, klarmachen, dass man künftig im wichtigsten Gremium der Gemeinschaft zeitweise nicht mehr vertreten sein würde? Das erscheint schwer vorstellbar.

Aus der Kommission als Gesetzgeber ist mit gutem Grund eine in Ansätzen politische Institution geworden, die immer mehr Hoheiten beansprucht. Ob man das begrüßt oder nicht, sei dahingestellt. Aber diese Tendenz stellt die EU vor eine Glaubensfrage, die man beantworten muss: Soll die EU eine politisches Bündnis werden? Dann braucht sie zweifellos auch eine politische Führung.

Oder will man die Aufgaben auf wenige zentrale Kernanliegen wie Wirtschaft, Währung, Außenpolitik, Binnenmarkt und Klimaschutz zurückschneiden? Dann kann man die Strukturen belassen, aber die Kommissare für alle übrigen Themen abschaffen. So lange man sich weder für den einen noch für den anderen Weg entschieden hat, ist die Frage, ob nun 27 oder 28 oder doch nur 19 Kommissare in Brüssel arbeiten, zweitrangig.

Und genau genommen auch gar nicht lösbar. Denn wie für jedes nationale Parteienbündnis an der Spitze eines Staates sollte auch für die EU gelten, dass nicht die Zahl der Mitglieder die Anzahl der Regierungsmitglieder definiert, sondern der Umfang der Aufgaben. Zumindest von diesem Grundsatz hat man sich in Brüssel weit entfernt - schon jetzt.

Deshalb ist der heutige Beschluss der Staats- und Regierungschefs für den Augenblick richtig. In der Sache aber geht er an den Notwendigkeiten einer Reform der EU und ihrer Arbeitsweise völlig vorbei.

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