Kommentar Europa im kommenden Jahr - Griechen, Briten, Putin

Das vergangene Jahr war das Jahr des Gedenkens. Erster Weltkrieg, Fall der Mauer. Gedenken, das klingt besinnlich. Doch davon konnte keine Rede sein.

Putin, die Mörderhorden des Islamischen Staats und eine vor sich hinkriselnde Realwirtschaft sorgten dafür, dass es in der EU durchaus nicht geruhsam zuging. 2015 wird das nicht anders sein.

Was wird die EU-Oberen vordringlich beschäftigen? Frans Timmermans, erster Vizepräsident der EU-Kommission und Schlüsselfigur im neuen Brüsseler Führungspersonal, sagt: das Investitionspaket von Kommissionschef Juncker. Nigel Farage, britischer EU-Verächter und Schandmaul im Europa-Parlament, prophezeit: Griechenland und Großbritannien. Recht haben sie beide.

Junckers Paket, mit dem 315 Milliarden Euro für Infrastruktur- und Modernisierung mobilisiert werden sollen, ist schon jetzt von Zweifeln umlagert. Nicht nur wegen der Details der Umsetzung oder der Frage, ob tatsächlich mit einer Ausgangssumme von 21 Milliarden Euro öffentlichem Geld der fünfzehnfache Betrag "gehebelt" werden kann.

Offen ist auch die Stichhaltigkeit der Grundannahme: dass ein voluminöses Interesse privater Anleger auf der einen, eine gewaltige Menge zukunftsträchtiger Vorhaben auf der anderen Seite nur darauf warten, durch einen bescheidenen Vorschuss Staatsknete zusammengebracht zu werden.

Fragezeichen begleiten auch das zweite groß angelegte Eigenblut-Doping der EU-Ökonomie. Womöglich schon im ersten Quartal will EZB-Chef Draghi sich mit dem umfassenden Ankauf von Staatsanleihen gegen Deflation stemmen und die Konjunktur ankurbeln. Es ist ein riskantes Spiel, einmal abgesehen vom Streit um die Zulässigkeit, der Politik und Fachwelt entzweit.

Und das parallel zum nächsten Schub politischer Turbulenzen in Griechenland. Heute entscheidet sich dort, ob noch diesen Winter gewählt wird. Ans Ruder käme womöglich der linke Volkstribun Tsipras, der seinen Landsleuten versprochen hat, sie vom Joch der Brüsseler Sparpolitik zu befreien. Die Aussicht auf einen Erfolg der Linken sorgt für Nervosität an den Märkten und bei den Managern der Euro-Zone.

Dito bei Teil zwei des Farage-Szenarios: der stetigen Abdrift Großbritanniens. Im Mai will sich Premierminister Cameron wiederwählen und alsdann das Volk entscheiden lassen, ob es aus der EU austreten will. Es wäre ein Verlust, den die EU als politische Macht nur schwer verkraften würde.

Dabei wird sie als internationaler Akteur im kommenden Jahr stärker gefordert sein als jemals zuvor. Für den Krisenraum Syrien/Irak ist eine zusammenhängende Strategie nicht in Sicht. Im Verhältnis zu Russland gerät die Geschlossenheit der EU in der Sanktionenfrage unter schweren Druck.

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