Kommentar Europa - Junckers Chance

Jean-Claude Juncker hat Recht: "Der Job des Kommissionspräsidenten ist nicht vergnügungssteuerpflichtig", sagte er gestern vor dem Europäischen Parlament. Tatsächlich hat der ehemalige Luxemburger Premier und Chef der Euro-Gruppe eine Mammutaufgabe vor sich, an der man eigentlich nur scheitern kann.

Jean-Claude Juncker hat Recht: "Der Job des Kommissionspräsidenten ist nicht vergnügungssteuerpflichtig", sagte er gestern vor dem Europäischen Parlament. Tatsächlich hat der ehemalige Luxemburger Premier und Chef der Euro-Gruppe eine Mammutaufgabe vor sich, an der man eigentlich nur scheitern kann. Nicht weil eine Reform dieser Union unmöglich wäre, sondern weil er zwischen allen Fronten agieren muss. Dem künftigen Chef der Kommission fehlt die verlässliche Achse Berlin-Paris, die es noch gab, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy sich zwar auch zofften, aber dann doch die Bälle zuspielten. Innerhalb der Union verschieben sich gerade die Gewichte: Der Stern des Briten David Cameron verblasst, weil er mit seinen ewigen Austritts-Drohungen die Geduld seiner Kolleginnen und Kollegen überstrapaziert. Dafür strotzt der junge, dynamisch auftretende italienische Ministerpräsident Matteo Renzi nach seinem Sieg bei der Europawahl vor Selbstbewusstsein. Merkel braucht Bündnisse, Juncker braucht Rückhalt. Beides gibt es nicht mehr.

Vor diesem Hintergrund muss der Kommissionspräsident eigene Kraft entfalten, sich mit seinem Gewicht durchsetzen, was die große Runde der Staats- und Regierungschefs nicht allzu gern sieht. Dort bevorzugt man eher schwache, lenkungswillige Persönlichkeiten. Juncker, lange Jahre einer der ihren, kennt ihre Tricks.

Das ist seine Chance. Nicht nur als politischer Chef der wichtigsten europäischen Behörde, sondern eben auch als Motivator und Ideengeber. Juncker muss sich nicht mehr beweisen, aber er muss zeigen, dass seine oft genug abgehobenen, fast schon philosophischen Entwürfe dieser Union auch im Alltag funktionieren.

Es ist leicht, von dieser EU den Rückzug auf die wesentlichen Themen zu verlangen, wenn man nicht zeigen muss, was verzichtbar ist und was zum Kern der europäischen Einigung gehört. Ob Juncker die Durchsetzungskraft für Veränderungen, für Reformen, ja für eine neue Struktur hat, ist offen. Dabei muss er vieles neu ordnen, was sein Vorgänger hat laufen lassen.

Das Verhältnis zwischen Berlin und Brüssel wird ohne Zweifel schwieriger werden. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl nannte den Luxemburger oft seinen "politischen Ziehsohn". Die Bundeskanzlerin hat sich mehr als einmal über die besserwisserische Kritik des damaligen Euro-Gruppen-Chefs geärgert. Beide kennen sich gut genug, um sich nur begrenzt zu mögen. Das macht die Rolle der Bundesrepublik nicht einfacher. Aber möglicherweise ist auch das eine Chance - für neue Allianzen, andere Koalitionen, zukunftsträchtige Zusammenarbeit. Juncker ist dafür nicht zu stark. Er ist nur eben nicht so schwach, wie ihn einige gerne hätten.

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