Erklärung des Bundespräsidenten: Beruhigungspille

Und nun? Der Bundespräsident hat eine persönliche Erklärung abgegeben. Das alles tue ihm leid, er nehme das Thema sehr ernst. Er verstehe, dass sein Vorgehen in der Öffentlichkeit "irritierend" wirken müsse, er sei nicht geradlinig gewesen.

Eine wohlwollende Bewertung kommt zu dem Ergebnis, dass Christian Wulff damit die geforderte persönliche Erklärung abgegeben hat, dass er sich entschuldigt hat, dass er nicht gegen geltende Gesetze verstoßen hat und dass wir die Diskussionen um Wulff und das höchste Staatsamt jetzt endlich beenden sollten.

Denn im Übrigen gebe es in Zeiten der weltweiten Schulden- und Finanzkrise, der Europa-Krise und der schwarz-gelben Regierungskrise wirklich Wichtigeres zu tun, als dem Bundespräsidenten und damit dem höchsten Staatsamt weiter zu schaden.

Doch halt! So nachvollziehbar diese Argumentation auch wirken mag, greift sie dennoch zu kurz. Der Reihe nach: Nach zehn Tagen des Zögerns und Zauderns reagiert der Bundespräsident endlich persönlich. Er geht spät, vielleicht zu spät in die Offensive. Vorher passieren allerdings noch zwei Dinge von Bedeutung: Kurz bevor das Bundespräsidialamt am Donnerstag kurzfristig zur Pressekonferenz einlädt, kommt heraus, dass Wulff, nachdem er den privaten Kredit seines Osnabrücker Freundes Geerkens abgelöst hatte, einen Bankkredit erhielt, dessen Zinsen nur halb so hoch wie bei normalen Kunden waren.

Ein echtes Schnäppchen, ähnlich verführerisch wie die Urlaube, die er kostenlos in den Ferienvillen befreundeter Unternehmer verbrachte. Und ein weiteres Steinchen im Mosaik, das einen Bundespräsidenten zeigt, der juristisch vermutlich nicht angreifbar sein wird, der aber als moralische Autorität zusehends verliert. Es geht, weiterhin, um das höchste Staatsamt. Es geht um Integrität, um Glaubwürdigkeit. Das ist das Kapital eines Bundespräsidenten. Es ist sein einziges Kapital.

Aufhorchen lässt vor der Erklärung am Donnerstag ferner die Entlassung von Pressesprecher Olaf Glaeseker. Der Mann ist mehr als ein Pressesprecher. Ihm hat Wulff mit Blick auf seine politische Karriere fast alles zu verdanken. Glaeseker arbeitete als Korrespondent in Bonn, als Wulff ihn nach Hannover holte. Wulff galt damals als Verlierertyp, blass und glatt, zugleich hölzern und mit wenig Ausstrahlung. Der weitere Weg Wulffs ist bekannt, sein Freund Glaeseker war der mitentscheidende Faktor. Den Weg nach Berlin trat Glaeseker nicht gern an, er wäre lieber in Hannover geblieben, wo auch seine Frau arbeitet - für die Niedersachsen-CDU.

Wenn ein Christian Wulff diesen Mann "entlassen muss", wie er es selbst formulierte, ist die Dimension der Verwerfungen im Bundespräsidialamt mit Händen zu greifen. Da ist Feuer unterm Dach. Die Personalie Glaeseker gibt viel Raum für weitere Spekulationen und Anlass für weitere Recherchen.

Unter anderem deshalb wird der Bundespräsident nicht zur Ruhe kommen. Durch seine späte Einsicht hat Wulff zwar etwas Zeit gewonnen, aber keineswegs sein Amt gerettet. Aus machtpolitischer Sicht sind es noch zwei starke Faktoren, die Wulff im Amt halten. Weil der Bundeskanzlerin mit Horst Köhler schon der erste von ihr vorgeschlagene Bundespräsident abhanden gekommen ist, wird sie weiterhin alles tun, um Wulff im Amt zu halten.

Deshalb steht Schwarz-Gelb bisher mit bemerkenswerter Geschlossenheit hinter dem Staatsoberhaupt. Der Rücktritt Wulffs könnte letztlich der Sargnagel für die Berliner Koalition sein, die weiterhin unter Misstrauen, internen Verwerfungen und einer FDP am Abgrund leidet.

Christian Wulff hat massiv an Vertrauen, an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Er ist ein moralisch angeschlagener Bundespräsident. Mit dem Aufkommen der Kreditaffäre hätte er reinen Tisch machen sollen, ja müssen: offensiv, transparent, selbstbewusst, würdevoll. Was hatte ihm Olaf Glaeseker in den Tagen geraten? Genau diese Variante? Wollte Wulff das nicht hören? Oder war es umgekehrt? Glaeseker als Bremser? Die Wahrheit wird ans Licht kommen, ebenso wie in der Kreditaffäre. Und was kommt noch?

Der gestrige Auftritt von Christian Wulff war kein Befreiungsschlag, sondern nur eine Beruhigungspille mit begrenzter Wirkungsdauer. Die Wahrscheinlichkeit bleibt groß, dass er zurücktreten wird. Nicht heute, nicht morgen. Aber bald.

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