Kommentar Erdogan in Köln - Freund oder Feind

Nein, Recep Tayyip Erdogan hat nicht eingelenkt. Der türkische Premierminister ist bei dem von seinen Anhängern frenetisch gefeierten Auftritt in Köln nicht auf seine Kritiker zugegangen, hat keine eigenen Fehler zugegeben oder Mäßigung versprochen.

Der überaus selbstbewusste Regierungschef hat in Köln klargemacht, dass er eine Kraft ist, mit der man auch in Zukunft wird rechnen müssen. Seine Rede in Köln, tatsächlich eine Ansprache an die Auslandstürken in ganz Europa, war eine unverhüllte Bewerbung um die Präsidentschaft seines Landes. Wenn Erdogan es will, wird ihm kaum jemand das Amt streitig machen können.

Allerdings steht die türkische Gesellschaft alles andere als geschlossen hinter ihm. Die rund 30 000 Erdogan-Gegner, die zeitgleich in Köln gegen den Premier mobil machten, zeigen, wie sehr seine nationalistisch-religiöse Politik die Türkei spaltet. Die Frage ist, ob die Bergwerkskatastrophe von Soma und Erdogans selbstherrliche und arrogante Reaktion seinem Selbstbild des Volkstribunen geschadet haben.

Schließlich sind es seine potenziellen Wähler, die von dem Unglück heimgesucht wurden: die sogenannten kleinen Leute. Und die nun gezeigte Arroganz ist das, was er innenpolitischen Gegnern unterstellt. Erdogans Weltbild folgt dabei einem schlichten Schwarz-Weiß-Schema: Er kennt nur Freund oder Feind. Seine Anhänger umwirbt er mit eingängigen Schmeicheleien, seine Gegner diffamiert er als Terroristen. Das Ganze wird garniert mit wolkigen Andeutungen über Verschwörungen des Auslands, die den Aufstieg der Türkei ausbremsen sollen.

Für die Integration bedeutet Erdogans nach wie vor hohe Popularität nichts Gutes. Zwar fordert er die Deutsch-Türken auf, die Sprache der neuen Heimat zu lernen, sich in Gesellschaft und Politik zu engagieren, zu lernen, zu studieren. Doch in seinen Augen bleibt ein Türke immer ein Angehöriger der türkischen Nation.

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