Kommentar EU-Gipfel - Zum Erfolg verdammt

Europa hätte zweifellos anderes gebraucht als die unausgesprochene Beschlagnahme dieses EU-Gipfels durch Griechenland. Dann wäre vielleicht die überraschende Botschaft noch deutlicher geworden, die zwischen den übrigen Themen nur durchsickern konnte: Die Union hat eine gemeinsame Linie gefunden, die noch vor wenigen Monaten undenkbar war.

Zwar ist die Sanktionspolitik gegenüber Moskau weiter umstritten, dennoch blieb man sich einig, die Strafen notfalls durchzuziehen, und geht nun sogar den Schritt in eine Energie-Union, um von Russland unabhängig zu werden. Nicht wenige fluchen über die strengen Auflagen zur Haushaltskontrolle, sie wurden trotzdem bekräftigt.

Das amerikanisch-europäische Freihandelsabkommen TTIP bleibt ein öffentlicher Zankapfel, doch man betonte den Willen zur Vollendung. Und selbst in der Griechenland-Frage musste der Athener Premier feststellen, dass er beim Versuch, die Partner auf Chefebene zu vereinnahmen, nicht weiterkommen würde.

Selbst wenn man, wie in der Frage des Freihandels, völlig anderer Meinung als Brüssel sein mag, so ist die Geschlossenheit der 28 ein wichtiges Signal. Denn die Krisen, die diese Gemeinschaft umgeben, hätten eigentlich genug Streitpotenzial, um die Partner mit unterschiedlichen Interessen zu spalten.

Bisher konnte genau das vermieden werden. Weil der Druck von außen immer größer wird. Weil man sich wegen der Bedrohung durch den Terror zusammenschließen muss. Dahinter steckt nicht zuletzt die fundamentale Erfahrung, dass Frieden als zentrales Thema des Zusammenhalts keineswegs überholt ist. Er bleibt bedroht - von außen, von innen. Die selbstverständliche Gewissheit, dass die Mitgliedstaaten nichts aus der Ruhe bringen muss, ist dahin.

Was nun notwendig wird, sind spürbare Signale. Das 315-Milliarden-Investitionsprogramm der Kommission muss endlich zünden, um den sozialen Frieden zu bewahren. Die Ukraine-Krise muss gelöst werden, um Ruhe an der neuen Ostfront zu bekommen. Und bei TTIP muss die EU endlich zeigen, dass die Befürchtungen der Menschen ernstgenommen werden.

Seit der Europawahl und der anschließenden personellen Neuordnung der Union wurde viel geredet, aber wenig bewirkt. Das mag notwendig gewesen sein, aber die Menschen wollen bald sehen, dass auch etwas gelöst wird. Die weitgehende Einigkeit bei diesem Treffen ist begrüßenswert.

Aber wenn sie nicht durch Erfolge, Durchbrüche und konkrete Verbesserungen ergänzt wird, bleibt die Idee von Europa auf der Strecke. Ein Scheitern im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, ein Abschied Griechenlands aus der Eurozone, ein Versagen in der zentralen Frage der Energieversorgungssicherheit - all das wären katastrophale Rückschläge, die sich die EU nicht leisten kann. Die Gemeinschaft ist jetzt zum Erfolg verdammt.

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