Kommentar EU-Flüchtlingspolitik - Tod im Meer

Die Betroffenheit hat Hochkonjunktur. 500, 700, gar 900 Tote - als ob die Menge der Einzelschicksale die Grausamkeit dessen, was da im Mittelmeer passiert, größer machen würde.

Aber die schnelle Suche nach dem Schuldigen führt nicht weiter. Sie ist auch zutiefst unehrlich. Weil es in der Flüchtlingspolitik keine Kompromisse gibt, die am Ende nicht doch irgendwie wieder kompromittierend für die westliche Welt sind.

Schon der Appell, die Geretteten auch ins Land zu lassen, entlarvt unsere Doppelmoral. Weil die Staaten die Flüchtlinge nicht aufnehmen können oder wollen. Demonstrationen, Drohungen, Anschläge auch in deutschen Gemeinden beweisen das. Zumal es nicht nur ein paar hundert Menschen sind, die an der nordafrikanischen Küste auf ihre Ausreise hoffen. Nach UN-Angaben warten dort über eine Million Flüchtlinge. Übrigens nicht die Ärmsten der Armen, denn sie sind in der Lage, mehrere tausend Dollar für die Schlepper zu zahlen.

Sie aber erst einmal nur in Aufnahmelager zu bringen, ist unmenschlich. In Griechenland herrschen in den Einrichtungen, von wo aus abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden, derart katastrophale Zustände, dass die Bundesrepublik niemanden mehr dorthin zurückschickt. Anlaufstellen für Flüchtlinge in Nordafrika klingen als Vorschlag gut und plausibel. Aber glaubt wirklich ernsthaft jemand, dass diejenigen, die dort zurückgewiesen werden, friedlich wieder in ihre Heimat reisen?

Die europäische Flüchtlingspolitik wird zerrissen zwischen humanitärem Anspruch, eigenen Werten und den politischen Realitäten. Europa ist nicht bereit, die Solidarität aufzubringen, die notwendig wäre, wenn man die jetzige Betroffenheit in die von vielen geforderten Beschlüsse umsetzen würde. Was bleibt, ist eine Intensivierung der Seenot-Rettung, wie sie Italien schon einmal vorgemacht hat - und dann auf 70 Prozent aller Immigranten sitzengelassen wurde.

Das muss sich ändern. Und zwar nicht bis in einigen Monaten, sondern innerhalb von Tagen. Weil ansonsten viele hundert weitere Menschen den nassen Tod sterben. Aber haben die Staats- und Regierungschefs dazu den Mut? Der Ausbau der Rettung Schiffbrüchiger muss im Schlussdokument stehen.

Das wird vielen nicht reichen, weil sie zugleich sichere Korridore für eine ungehinderte Einreise erwarten. Aber wird da nicht gefordert, was wir eigentlich nicht fordern dürften, weil wir die Konsequenz fürchten? Die europäische Gesellschaft ist, zumindest als Ganzes betrachtet, eben nicht bereit, eine Einwanderungsunion zu werden. Feste Quoten mögen vielversprechend klingen.

Aber ohne eindeutigen Konsens der Bürger, die Opfer von Unrecht, Krieg und Vertreibung aufnehmen zu wollen, ist auch ein Verteilschlüssel kein Weg, der den Asylanten oder uns selbst ein ruhiges Gewissen beschert.

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