Kommentar EKD-Synode in Dresden: Gegen den Trend

Es steht nicht gut um die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Jahr für Jahr durch Austritte und demografischen Wandel viele Mitglieder verliert. Das machte auch der Gottesdienst zur Eröffnung der Synode 2014 wieder deutlich, der ganz im Zeichen des 25. Jahrestags des Falls der Berliner Mauer stand.

Kamen 1989 bis zu 6000 Menschen in der Dresdner Kreuzkirche zusammen, von der aus sie dann mit Kerzen zur damals noch in Schutt und Asche liegenden Frauenkirche zogen, so kamen jetzt nur noch wenige hundert. Dankbarkeit gegenüber der Kirche als Organisation ist ebenso wenig eine Kategorie der Menschen wie gegenüber der Politik.

Der wegen der schweren Krebserkrankung seiner Frau vorzeitig aus dem höchsten Amt des Protestantismus scheidende Nikolaus Schneider nutzte seinen letzten Ratsbericht vor allem für eine Bilanz seiner Amtszeit. Gedrängt hat er sich nicht nach dem Ratsvorsitz, den er nach dem plötzlichen Rücktritt der Charismatikerin Margot Käßmann übernehmen musste. Die im Frühjahr veröffentlichte 5. Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung liefert ein schonungsloses Bild der evangelischen Kirche. dem 2006 mit der Initiative "Kirche der Freiheit" prophezeiten "Wachstum gegen den Trend" ist nicht mehr viel geblieben. 23 Millionen Mitglieder sind es noch. Austritte und demografischer Wandel lassen die Zahlen weiter sinken. Schneider redet die Situation nicht schön, aber er sieht zu Recht die Kirche auch "nicht im freien Fall".

Große Hoffnungen setzt man auf den 500. Jahrestag der Reformation im Jahr 2017. Doch solche Großveranstaltungen werden kaum die Menschen davon abhalten, wegen der Kirchensteuer oder einer langanhaltenden Entfremdung aus der Kirche auszutreten. Zu lange haben sich beide große Kirchen zu viel mit Struktur- und Finanzfragen beschäftigt und zu wenig an Geld und Personal in die Arbeit vor Ort investiert. Aber dort wird weiterhin zu wenig investiert. Für die Menschen ist die Pfarrerin, der Pfarrer vor Ort wichtiger als der Ratsvorsitzende.

Selbstverständlich benötigt auch die evangelische Kirche eine geordnete Struktur als Kirche auf Landes- und auf EKD-Ebene. Aber es wird Zeit, dass der Pfarrer wieder mehr Zeit am Bett des Sterbenden verbringt als mit der Verwaltung, dass die Kirchengemeinde wieder für alle zur Heimat wird. Und dass praktizierte Ökumene nicht länger dem Stillschweigen unterliegt, sondern für Protestanten und Katholiken eine Selbstverständlichkeit wird.

Mit Nikolaus Schneider verlässt ein Mann die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland, der immer Pastor (zu deutsch: Hirte) geblieben ist. Viele haben in ihm den Intellektuellen vermisst. Sie werden fortan den Pastor Schneider vermissen, der es verstand, über die meisten Gräben in Kirche, Gesellschaft und Politik gangbare Brücken zu bauen. Gegen den Trend wird die evangelische Kirche wieder wachsen, wenn sie protestantische Frömmigkeit dort neu zur Entfaltung bringt, wo sie verankert sein müssen - im Leben eines jeden einzelnen Menschen. Dann zahlen auch die Reichen wieder Kirchensteuer.

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