Kommentar Die öffentlichen Finanzen - Prall und pleite

Unter den Blinden ist der Einäugige König. Das Sprichwort kommt einem in den Sinn, wenn man an den Zustand der öffentlichen Finanzen in Deutschland denkt. Nun wäre es gewiss unzulässig, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als Einäugigen zu bezeichnen, aber im Vergleich zu seinen ausgabefreudigen Ressortkollegen ist er jedenfalls ein Sehender, nicht blind für die Belastungen künftiger Generationen.

Deshalb war es auch gut, dass die Regierung, in Sonderheit ihr Kassenwart, gestern nicht in Jubelschreie ob der Meldung der Statistiker ausbrach, dass der Staatshaushalt 2013 ausgeglichen war. Das heißt, dass er ohne neue Schulden finanziert werden konnte. Die Betonung aber liegt auf neue Schulden, denn alte gibt es zuhauf. Und deshalb ist die frohe Botschaft auch eine, bei der die Fröhlichkeit gleich wieder verschwindet.

Der Staat hat, wenn man so will, nur nicht weiter oder nicht noch mehr gesündigt. Das mag man Verbesserung nennen, aber eine wirkliche Wende wäre es erst dann, wenn es Bund, Ländern und Kommunen gelänge, deutlich mehr vom Billionen-Schuldenberg abzutragen. Doch davon kann keine Rede sein.

Im Gegenteil: Die 2013er Bilanz ist eine der brummenden Konjunktur, der steigenden Steuer- und Abgabeneinnahmen. Und die 2013er Bilanz ist eine vor Bildung der großen Koalition, deren Verschwendungsprogramm - auch für sich genommen sinnvolle Wohltaten, die man nicht finanzieren kann, fallen darunter - für die kommenden Jahre Schlimmes befürchten lässt. Es dürfte die Bilanz wieder rot einfärben, erst recht, wenn die Konjunktur nur ein bisschen lahmen sollte. Der positive Effekt des ausgeglichenen Haushaltes ist also auf Sand gebaut.

Das ist umso bedenklicher, als die mittlerweile mit Verfassungsrang ausgestattete Schuldenbremse die Regierenden dazu zwingt, im Bund ab 2016, in den Ländern ab 2020 so gut wie keine neuen Schulden mehr zu machen. Doch die Erfahrung mit derartigen Fesseln ist eindeutig. Weder hat sich Deutschland dauerhaft an das EU-Defizitziel von drei Prozent gehalten. Im Gegenteil: Sein Vorpreschen beim Reißen der Hürde hat andere Staaten zu der laxen Haushaltspolitik erst ermutigt, die die EU jetzt beispielsweise in Griechenland beklagt.

Noch gilt das für das andere Maastricht-Ziel: die Staatsschuldenquote. Sie darf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten. Deutschland rangiert mit rund 80 Prozent weit entfernt von diesem Ziel und liegt damit weit schlechter als etwa die skandinavischen Staaten, deren Sozialetats so oft und gerne kritisiert werden.

Also: Das Gefühl der Bürger stimmt, die Kassen sind zwar prall gefüllt, aber trotzdem herrscht Not. Brücken verfallen, Schulen auch, die Demografie sprengt die Sozialkassen. Dieses Land lebt immer noch über seine Verhältnisse. Es muss sparen. Jetzt, wann sonst!

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