Kommentar Waffengewalt in den USA - Abgestumpft

Washington · Nach Newtown, dem Massaker an einer Grundschule im vergangenen Dezember, tat Amerika so, als würde es in sich gehen und seine haarsträubende Waffenkultur auf den Prüfstand stellen. Die Betonung liegt auf: tat so.

Sämtliche Versuche, die kinderleichte Verfügbarkeit von Mordwerkzeugen einzuschränken und labile Zeitgenossen vom Griff zum Colt abzuhalten, sind seither von der mächtigen Waffenlobby vollständig zerrieben worden. Ergebnis: Die Branche boomt. Waffenverkäufe erreichen Rekordmarken. Die "National Rifle Association", wichtigstes Sprachrohr der Büchsenspanner, frohlockt. In einzelnen Bundesstaaten wie Colorado wurden Waffengegner politisch mundtot gemacht.

Präsident Barack Obama und andere, die im Lichte der erschossenen i-Dötzchen und Lehrer in Sandy Hook moderate Einschränkungen beim Waffenbesitz propagierten, sind verstummt. Die sklerotische politische Klasse in den USA, bestärkt durch eine Mehrheit in der Bevölkerung, für die Waffen Gebrauchsgegenstände sind, hat das Thema ausgesessen. Bis zu diesem Montag. Im Herzen der Hauptstadt, noch dazu in einem militärischen Hochsicherheitsbereich, hat ein offenbar psychisch verwundeter, polizeibekannter Ex-Soldat Leid und Elend über Hunderte Menschen gebracht. Wie konnte das geschehen? Was muss Amerika tun, um so etwas zu verhindern?

Mögen die Motive von Aaron Alexis auch erst schemenhaft zu erkennen sein, mögen die offensichtlichen eklatanten Sicherheitspannen noch nicht aufgeklärt sein - die Rituale nach Amokläufen mit vielen Toten setzten bereits kurz nach den letzten Schusswechseln ein.

Dabei sind die Antworten auf das epidemisch um sich greifende Problem - über 30 000 Tote durch Waffengewalt pro Jahr - lange bekannt. Amerika macht seinen Bürgern das Töten fahrlässig leicht. Waffen sind im Überfluss im Verkehr. Und es werden immer mehr.

Was zu tun ist, liegt auf der Hand: weniger Waffen, schärfere Gesetze, bessere Früherkennung und Behandlung von psychischen Verwerfungen. Und noch was: Es muss Schluss gemacht werden mit der böswilligen Fehldeutung des zweiten Verfassungszusatzes, der den amerikanischen Waffenmythos seit über 200 Jahren konserviert. Mitnichten wird dort, wie gerne behauptet wird, einer flächendeckenden Volksbewaffnung das Wort geredet.

Amerika wird sich aber auch diesmal der Vernunft widersetzen und beratungsresistent seinen blutigen Traditionen folgen. Es geschah vor Washington. Und es wird in Zukunft wieder geschehen. Blinde, maßlose Waffengewalt, die unschuldige Menschen aus der Mitte des Lebens reißt, weil eine kranke Seele spielend leicht den Abzug drücken kann. Der nächste Aaron Alexis wartet schon. Die Welt schaut zu und schüttelt den Kopf über ein abgestumpftes Land.

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