Die Ratingagenturen: Zweite Supermacht

Bald ist es 15 Jahre her, da fiel dem bekannten amerikanischen Zeitungs-Kommentator Thomas Friedman eine schöne Situationsbeschreibung ein: "Es gibt zwei Supermächte auf der Welt, die USA und Moody's. Die Vereinigten Staaten können dich zerstören, indem sie Bomben auf dich werfen. Moody's zerstört dich, indem es das Rating deiner Bonds herabsetzt. Und es nicht immer klar, wer von beiden mächtiger ist."

Am Mittwoch nun hat sich zwar nicht Moody's, sondern der andere große Zensor über die Zukunfts- und Regierungsfähigkeit ganzer Staaten, die Ratingagentur Standard & Poor's, zu Wort gemeldet. Je nach Ausgang des bevorstehenden Gipfeltreffens der Europäischen Union könnte 15 EU-Ländern die Herabstufung ihrer Bonität bevorstehen. In Kurzform: höhere Zinsen bei der Aufnahme neuer Schulden.

Was da von der Südspitze Manhattans, 55 Water Street, laut wurde, wirkt in Europa wie die erpresserische Ankündigung, bald eine finanzpolitische Bombe zu zünden. Entsprechend heftig fielen bei einigen aufgeregten Politikern die Abwehrreaktionen aus.

Zum wiederholten Mal taucht die letztlich unbeantwortete Frage auf, ob die Rating-Päpste nicht viel stärker Krisenbeschleuniger als wachsame Mahner sind. Und ob sie, weil allesamt amerikanischer Herkunft und noch dazu privatwirtschaftlich organisiert, am Ende politisch motivierte Botschaften in die Welt zu setzen, um den Dollar zu stärken und den Euro zu schwächen.

Gemach. Im Kern sagen die ebenso blendend bezahlten wie ungeliebten Aufpasser von S&P nichts neues. Sie haben am Markt abgebildete Zweifel, ob die Spitzenpolitiker Europas diesmal gemeinsam wirklich alles unternehmen, um die gefährdete Euro-Zone nachhaltig auf sichere Füße zu stellen.

Die Misstrauenserklärung am Vorabend des Gipfels erfüllt die Funktion eines unerbetenen Weckrufs. Davor die Ohren zu verschließen, wütend Provokation zu rufen und den Primat der Politik zu beschwören, wie dies gestern in vielen EU-Hauptstädten der Fall war, mutet wie eine Ersatzhandlung an.

Nebenbei bemerkt: Die Börsen-Welt ist davon nicht untergegangen. Wer aus Manhattan keine Denkzettel mehr geschrieben bekommen möchte, der muss einfach seine Hausaufgaben machen. Oder endlich eine eigene Rating-Agentur in Europa aufbauen, die am Markt ebenso viel Luft verdrängt wie die Herrschaften aus Amerika.

Auffallend ist, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Wink aus den Vereinigten Staaten vergleichsweise gelassen aufgenommen hat. Als Regierungschefin desjenigen Landes, das bei der anstehenden Aufräumaktion um die Gemeinschaftswährung Euro die mit Abstand größten Haftungsrisiken eingeht, was die größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union mittelfristig noch schwer durchschütteln könnte, kann Merkel sich die Standard & Poor's-Linie sogar gewissermaßen zu eigen machen. Als zusätzliches Druck-Argument auf jene, die sich in der Krise und bei der anstehenden Neufassung der europäischen Verträge zieren oder weiter einen schlanken Fuß machen wollen.

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