Kommentar Die Debatte um die Pflege - Die nächste Stufe

Pflegeversicherung, nächstes Kapitel. Hermann Gröhe hat ein schweres Amt. Auf keinem anderen Feld kämpfen ungezählte Verbände und ihre noch zahlreicheren Lobbyisten mit derart harten Bandagen um Gehör und Mitsprache wie im Reich des Bundesgesundheitsministers.

Sie versuchen Gesetzentwürfe nicht nur zu beeinflussen, in manchen Fällen liefern sie auch gleich druckfertig. Kostenlos. Man kann es ja mal versuchen, auch wenn die Politik nicht darauf eingeht. Es geht eben um sehr teure Interessen.

Die stetig älter werdende Gesellschaft verlangt ihren Tribut. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD findet sich der schlichte Satz: "Pflege muss für alle Menschen, die auf sie angewiesen sind, bezahlbar bleiben." Damit ist ein zentrales Problem umschrieben. Wer zahlt? Wie lange? Und wie viel? Vor allem Demenzkranke sollen mit einer neuen Definition der Pflegebedürftigkeit "bessere und passgenauere Leistungen erhalten", so die Absichtserklärung.

20 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung zieht der Sozialverband VdK nun mit einer Verfassungsklage nach Karlsruhe. Der Verband, der 1,7 Millionen Mitglieder vertritt, will am Beispiel von zehn Musterklägern erreichen, dass Menschen in Deutschland künftig in Würde altern können. Ein verständliches Ziel. Eigentlich ein selbstverständliches, sollte man meinen. Nur: Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Überfüllte Pflegeheime, überfordertes Personal, alleingelassene Angehörige bei häuslicher Pflege, Abrechnung im Minuten-Betreuungsmodus. Keine Frage: Die Pflegeversicherung braucht eine Erneuerung. Gröhe ist dann bereits der vierte Bundesgesundheitsminister, der sich an eine Reform macht, die ihren Namen noch verdienen muss. Bisher haben seine Vorgänger im Zusammenspiel mit Opposition und Interessenverbänden kein Werk geschafft, welches das Prädikat "nachhaltig" verdient hätte.

Die Debatte kreist um sich selbst. Die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen wartet auf bessere Betreuung - und auf mehr Zeit dafür. Nicht zu vergessen: Die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge kommen erst noch in das Alter, in dem sie zu Pflegefällen werden könnten. Dann wird es richtig teuer.

Spätestens dann muss die Pflegeversicherung ein belastbares Fundament haben, sonst wird sie zu einem Fass ohne Boden. Ob fünf statt bisher drei Pflegestufen für Demenzkranke bessere Betreuung bringen können, muss sich in der Praxis zeigen. Die Zahl der Pflegefälle wird weiter steigen, natürlich mit Auswirkungen auf deren Angehörige, die just diese Pflege für ihre Eltern aus den Ansprüchen eines Vollzeitjobs heraus organisieren müssen. Auch Lohnersatz für Pflegeorganisation wird damit zum Thema. Es wird teuer. Für alle. Weil es notwendig wird. Für alle.

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