Kommentar Deutschland und die EU - Zwei Versionen

Die deutsche Erzählung zur Finanzkrise und die Rezeptur zu ihrer Überwindung lautet in groben Zügen so: Die öffentlichen Haushalte sind durch eisernes Sparen zu sanieren.

Neuerlicher Verschwendung ist durch strikte Spielregeln für den Euro vorzubeugen. Jedes Mitglied der Währungsunion muss mittels schmerzlicher Strukturreformen seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Soll heißen: Macht es wie wir!

In den meisten EU-Staaten - und keineswegs nur in den südlichen Krisenländern - geht die Erzählung anders: Die Deutschen haben an führender Stelle mit dafür gesorgt, dass die Staatsschulden-Disziplin in der Eurozone vor die Hunde ging. Sie haben sich dann durch kräftige Einschnitte beim Sozialstaat und Senkung der Lohnstückkosten eine erstklassige Position im internationalen Wettbewerb verschafft, dank derer sie die Krise abgewettert beziehungsweise von ihr profitiert haben.

Es sei jedoch heuchlerisch, wenn jetzt der Verkäufer dem Käufer Verschwendung vorhalte - es könnten nicht alle gleichzeitig Export-Weltmeister sein. Von Berlin wird mithin nicht nur finanzielle Hilfe bei der Bewältigung der Krise erwartet, sondern auch Einsicht: Dass die Bundesrepublik keineswegs Lösung pur ist, sondern auch Teil des Problems.

Die starke Position der Deutschen im Personaltableau des europäischen Krisenmanagements ist in diesem Zusammenhang Segen und Fluch zugleich: Sie erleichtert die Durchsetzung von Maßnahmen, die Berlin zur Genesung für zweckmäßig hält. Zugleich aber verstärkt sie den Groll bei den Partnern und zehrt damit an einer Ressource, ohne die auch ein Europa nach deutschem Geschmack nicht auskommt.

Die Verunglimpfung der Kanzlerin als Hitler-Nachfolgerin, die mit wirtschaftlichen Mitteln voll-ende, was der Führer mit militärischen nicht geschafft habe, wird von den maßgeblichen Politikern in Europa einhellig mit Kopfschütteln quittiert. Das böse Fremdwort vom deutschen "Diktat" macht aber auch bei Diplomaten, EU-Offiziellen und Kommentatoren die Runde, die Verständnis für die innenpolitische Lage der Bundeskanzlerin haben, ihre Sanierungsphilosophie durchaus nicht völlig abwegig finden und der von Berlin - vor allem in Form von Bürgschaften - geleisteten Hilfe in dreistelliger Milliardenhöhe die Anerkennung nicht versagen.

Es gibt einen massiven Generalvorbehalt: Die Deutschen, so heißt es, hätten angesichts des Beinah-Kollapses der Währungsunion die Balance verloren zwischen der richtigen und wichtigen Rücksicht auf Stimmungen im eigenen Land und dem, was nottut für den Zusammenhalt Europas.

In der Krise sind die anderen mehr denn je auf den Beistand und das Verständnis des größten und potentesten Partners in der EU angewiesen - und sie leiden unter dieser Angewiesenheit. Den Deutschen vermittelt das eine immer selbstbewusstere Zuversicht, alles richtig gemacht zu haben. Das ist erstens sachlich falsch und zweitens ein politischer Fehler: Es verstellt den Blick auf den Umstand, dass das Kraftzentrum der EU seinerseits auf die anderen angewiesen ist. So bescheren die auseinanderdriftenden Erzählungen dem Projekt Europa ein Problem, das anzudauern droht, wenn die Finanzkrise bereits Geschichte ist.

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