Kommentar Deutschland, die Briten und Europa - Störrische Freunde

Kein Zweifel: Europa macht zurzeit wenig Werbung für sich selbst. Der Glanz des an die EU verliehenen Friedensnobelpreises konnte nur kurz die Schuldenkrise überstrahlen. Die britische Euro-Destruktion fordert besonders Deutschland heraus.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs könnten es sich einfach machen, und ihren Londoner Kollegen David Cameron vor die Wahl stellen: Entweder die Briten wollen Teil sein der Union, die den Kontinent weiter zusammenführen will.

Oder sie gehen ihren eigenen Weg, verlassen sich auf die besondere Beziehung zu den USA und stärken ihr Commonwealth - ein Weg, der die Briten auf Jahrzehnte von den kontinentalen Nachbarn entfremden würde, mit allen ökonomischen Risiken und Nebenwirkungen. Zu einem solch dramatischen Showdown wird es beim Brüsseler Gipfel nicht kommen.

Aber die Signale sind da, dass die Querschüsse von den Inseln zumindest jene Europa-Politiker zunehmend nerven, die sich seit Monaten mit der Bekämpfung der europäischen Schuldenkrise abmühen, in Berlin, in Brüssel, in anderen EU-Hauptstädten.

Die konservativ-liberale Regierung in London meldet sich ausgerechnet in dieser für die EU kritischen Situation mit der Idee zu Wort, Teile des Lissaboner Vertrages neuverhandeln und sich aus der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz verabschieden zu wollen. Eine engere Zusammenarbeit in Steuer- und Finanzfragen lehnt die Regierung Cameron, aus Furcht vor Brüsseler Einmischung auf dem Finanzplatz London, ohnehin ab.

Die eigenen Unternehmen will sie befragen, welche europäischen - also von London mitbeschlossenen - Regelungen sie als nachteilig erachten. Der Eindruck setzt sich durch: Unter dem Druck der Europa-Feinde schwenkt die Regierung Cameron auf einen national-egoistischen Kurs ein. Das Ziel: Die Vorteile der EU nutzen, sich gemeinsamer Verantwortung und Lasten aber entledigen.

Kein Zweifel: Europa macht zurzeit wenig Werbung für sich selbst. Der Glanz des an die EU verliehenen Friedensnobelpreises konnte nur kurz die Schuldenkrise überstrahlen. Und glühende Verfechter des europäischen Gedankens waren die meisten Briten ohnehin nie.

Aber selbst der hartleibigste Tory-Nationalist kann nicht ignorieren, dass der britische Wohlstand nicht mit imperialen Fantasien oder der "special relationship" zu den USA zu sichern ist. Über die Hälfte der britischen Exporte geht in die EU, mehr als die Hälfte der Auslandsinvestitionen auf den Inseln kommt aus einem EU-Staat.

Die britische Euro-Destruktion fordert besonders Deutschland heraus: Berlin braucht London als Verbündeten und Gegengewicht zu jenen Ländern unter Führung Frankreichs, die dem Staat viel umfassendere Zugriffsrechte auf die Wirtschaft gewähren wollen, denen Wettbewerbsfähigkeit und finanzpolitische Stabilität weniger wichtig sind.

Die störrischen Briten bei der europäischen Stange zu halten, ohne die europäischen Prinzipien mit Füßen zu treten: eine heikle Aufgabe für die Berliner Diplomatie.

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