Kommentar Der Wahlkampf hat begonnen - Borussia Steinbrück

Kaum hat die SPD ihren Kanzlerkandidaten benannt, sollen Wahlumfragen belegen, dass er ja eigentlich gar keine Chance habe.

Dabei liegt Angela Merkel ein Jahr vor der Bundestagswahl in etwa so einholbar vor Peer Steinbrück wie der FC Bayern München zu Saisonbeginn vor Borussia Dortmund liegt, zumal die Umfragen vom Wochenende Steinbrücks Nominierung als Sturmspitze und sein Heimspiel am Samstag bei der NRW-SPD noch gar nicht erfasst haben können. Sieht man einmal von der vertauschten Trikot-Zuordnung (Rot und Schwarz-Gelb) ab, gibt es zudem einen gravierenden Unterschied zwischen der Welt der Politik und der des Fußballs.

Während der FC Bayern über eine erstklassige Besetzung auf allen Positionen inklusive einer Weltklasse-Ersatzbank verfügt, kommt bei Merkels Truppe nach der Bundeskanzlerin lange gar nichts. Ihr talentiertester Nachwuchsspieler, Norbert Röttgen, wurde dauerhaft ausgewechselt, und ihre Spezialistin im zentralen Mittelfeld der Familienpolitik, Ursula von der Leyen, laboriert nach einigen Alleingängen an ihren jüngsten Verletzungen. Außerdem schleppt Merkel mit der FDP eine Menge Fußkranke mit sich herum.

Steinbrück dagegen operiert weiter in einem funktionierenden Team. Er kann sich, wenn es gut geht, mit Parteichef Gabriel und Fraktionschef Steinmeier die Bälle zuschieben. Mit der beliebten NRW-Ministerpräsidentin steht ihm zudem eine Kraft zur Seite, die - anders als Steinbrück - die Herzen der Menschen erreicht und ihm als Kanzlerkandidatin 2017 folgen könnte.

Wenn er jetzt noch jene "Beinfreiheit" bekommt, die er bei seiner Rede in Münster ausdrücklich eingefordert hat, dürfte er mit gezielten Sprints immer wieder gefährlich nah an Merkels Tor herankommen. Ihr Kanzlerinnenbonus wird so schnell zu einem Malus: Sie muss, weltdiplomatisch verbrämt, aus der sicheren Abwehr heraus operieren; er dagegen kann verbal schießen, was das Zeug hält. Erste Kostproben gab es am Samstag.

Nur an einer Stelle muss Steinbrück taktisch aufpassen. Er sollte es mit der "Ausschließeritis" nicht zu weit treiben. Dass er mit der Linken und den Piraten nicht kann und nicht will und derartig unverantwortliche Koalitionen ausschließt, ist nachvollziehbar, richtig und wichtig. Dann aber auch Spielgemeinschaften mit der FDP und der Union die rote Karte zu zeigen, wäre gefährlich. Eine Ampelkoalition ist eine realistische Machtoption für die SPD und für Steinbrück unter Umständen die einzige Möglichkeit, Kanzler zu werden.

So gesehen muss Merkel eine FDP, die nicht aus dem Bundestag absteigt, mehr fürchten als ihr Herausforderer. Und eine große Koalition könnte vor dem Hintergrund der anhaltenden Eurokrise durchaus Sinn ergeben. Dass Steinbrück selbst nicht wieder unter einer Spielführerin Merkel auf den Platz laufen möchte, ist ebenso verständlich wie schade. Sie waren ein gutes Team damals.

Wer am Ende die Nase vorn hat, entscheidet wie beim Fußball womöglich erst das direkte Duell. Kann Steinbrück bei den Debatten im Bundestag und im Fernsehen sowie bei den Interviews in den Zeitungen punkten, rutscht der "FC Merkel" womöglich noch auf den zweiten Platz ab.

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