Kommentar Der Fall Christian Wulff - Nur Verlierer

Juristisch ist Christian Wulff vollständig rehabilitiert. Der Freispruch war absehbar und nach dem Verlauf des Prozesses unabdingbar. Somit steht einem Neuanfang im Leben des Alt-Bundespräsidenten eigentlich nichts mehr im Weg. Eigentlich. Denn trotz des Erfolges vor Gericht ist Wulff kein Gewinner.

Er hat alles verloren: seinen Ruf, seine politische Karriere, seine Familie. Ein wesentliches Merkmal der Affäre um den einst jüngsten Bundespräsidenten der Republik bleibt, dass es nur Verlierer gibt. Neben Wulff haben die ermittelnden Staatsanwälte einen Scherbenhaufen hinterlassen, ebenso wie eine nennenswerte Zahl der deutschen Medien.

Der Freispruch zieht einen Schlussstrich unter eine Affäre, die bis heute nicht vollständig aufgearbeitet ist, deren Verlauf aber demokratische Grundregeln nachhaltig bestätigte. Das betrifft vor allem das Amt des Bundespräsidenten. Dessen Macht sind Worte und Taten, sein Verhalten muss vorbildlich sein. Er stellt eine moralische Instanz dar. Deshalb gilt für ihn im Besonderen, was für alle Politiker Maßstab ihres Handelns sein sollte: "Gesetzeskonform" bedeutet nicht automatisch "erlaubt".

[kein Linktext vorhanden]Wulff war ein überzeugender niedersächsischer Ministerpräsident. Damals hatte er viele Beobachter überrascht - als Bundespräsident hat er viele Menschen enttäuscht. Das Amt war für ihn eine Nummer zu groß. Und als die Affäre begann, stieß er schnell an seine Grenzen, einhergehend mit einem katastrophalen Krisenmanagement. Der verschwiegene Hauskredit, eine kostenlose Urlaubsreise hier, ein Upgrade dort, der Anruf auf der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs - alles für sich genommen vernachlässigbar. In der Gesamtheit aber entstand das Bild eines Nimmersatt, eines Schnäppchenjägers. Unvereinbar mit dem hohen Amt.

Große Teile der deutschen Medien wurden bis zu einer gewissen Grenze ihren zentralen Aufgaben gerecht: als Anwälte der Leser, Hörer und Zuschauer Missstände aufzuspüren, den Mächtigen auf die Finger zu sehen, Abläufe kritisch zu durchleuchten und Hintergründe aufzuzeigen. Doch zweifelsohne kamen auf dieser Gratwanderung einige Journalisten und Medien vom Weg ab. Spätestens an dem Tag, an dem das geschenkte Bobbycar im Garten von Schloss Bellevue Teil der Skandalberichterstattung wurde, wusste jeder, dass etwas schiefgelaufen war.

[kein Linktext vorhanden]Dass die Ermittler in Hannover nicht eher auf die Bremse traten, war ein fataler Fehler. Der glatte Freispruch ist eine Ohrfeige für die Staatsanwälte und zugleich ein klares Signal des Rechtsstaates: bis hierhin und nicht weiter.

Was bleibt? Der Bundespräsident ist eine Respektsperson, die sich entsprechend verhalten muss und entsprechend zu behandeln ist. Christian Wulff war nicht der richtige Mann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Jana Marquardt
zu Arbeitslosen in Deutschland
Viel Potenzial bei Ungelernten
Kommentar zur ArbeitslosenquoteViel Potenzial bei Ungelernten
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten Militärausgaben Eine andere Welt
Zum Thema
Noch nicht aufgewacht
Kommentar zum Treffen zwischen Scholz und Sunak Noch nicht aufgewacht
Nur Warten reicht nicht
Kommentar zur Frühjahrsprognose Nur Warten reicht nicht
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Aus dem Ressort