Kommentar Das Stuttgarter Treffen der Liberalen - König ohne Land

Der personelle Auszehrungsprozess der FDP ist keine Erfindung böser Journalisten, sondern eine bittere Realität. Früher bei Dreikönigstreffen war es ein beliebter Spaß, die drei Könige an der Spitze der Partei zu identifizieren. Denn es gab sie. Oft mehr als drei. Heuss, Dehler, Mende, Scheel, Genscher, Lambsdorff, Dahrendorf, Flach, Mischnick und und und.

Am Montag auf der Bühne des Stuttgarter Staatstheaters saßen Männer und Frauen, die bundesweit größtenteils unbekannt sind: das neue Präsidium der FDP. Umso größer die Sehnsucht nach dem alten Glanz und den alten Namen: allen voran Hans-Dietrich Genscher. Hätte er nach dem Desaster vom September noch mal kandidiert, er wäre gewählt worden. Die liberalen Minister der abgewählten Bundesregierung glänzten dagegen durch Abwesenheit, kein Zeichen besonderer Parteiverbundenheit in Zeiten der Not.

Richtig daran ist: Die Röslers spielen in der neuen FDP keine Rolle mehr. Aber gibt es deshalb schon eine neue FDP? Die Antwort ist schlicht und einfach: Nein, es gibt sie nicht. Es muss sie auch gar nicht geben.

Es reicht eine Besinnung auf die Werte, die den Liberalismus in Deutschland ausmachen. Auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, auf soziale Marktwirtschaft und Wettbewerb. Darauf hat die FDP kein Monopol, aber sie kann diese Positionen klarer als die großen Parteien vertreten.

Jetzt in der außerparlamentarischen Opposition erst recht. Die FDP hat, wenn man so will, schon wieder ein unverschämtes Glück im Pech. Schon am Tag nach der Wahlniederlage war klar: Der Mitleidseffekt würde im Fall vorzeitiger Neuwahlen dazu führen, dass die FDP wiederkäme. Jetzt spielt die neue große Koalition ihr mit ihrer unsoliden Haushaltspolitik Woche für Woche in die Hände. Da ist es ein Leichtes, sich als Partei der Solidität zu verkaufen.

Christian Lindner macht genau das perfekt. Sein Verzicht auf Mätzchen, auf vermeintlich populäres Geklingel stärkt die Glaubwürdigkeit der FDP. Aber Lindner nährt auch die Illusion, dass das Schlimmste schon hinter der Partei liege. Oder wie sein Vize Wolfgang Kubicki in Stuttgart meinte, dass die Reha schon vorbei sei.

Das zu glauben, ist gefährlich. Als einen der Grundfehler der Vergangenheit haben die Liberalen die Verengung auf ein Thema ausgemacht. Damals hieß es Steuersenkungen. Diese Analyse ist richtig, und die neue Breite und Kantigkeit der Liberalen verspricht Erfolg. Aber Vorsicht: Die FDP fehlt ja nicht nur im Bundestag, sondern auch in immer mehr Landesparlamenten. Sie sitzt - mit Sachsen- nur noch in einer Landesregierung. Soll es also klappen mit der liberalen Wiedergeburt, dann brauchen die Liberalen keine Verengung auf eine Person, sondern viele kleine Lindners. Sonst bleibt er ein König ohne Land.

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