Kommentar zu Europa und den Reformen in Polen Das Dilemma
Die neue polnische Regierung fordert Europa heraus. Wenn sich die Gemeinschaft als Wertegemeinschaft begreift - und dieses Postulat ist weiter von großer Bedeutung -, dann müssen die Mitgliedsländer demokratische Mindeststandards erfüllen. Polen ist gerade dabei, diese Grenze auszutesten und man darf davon ausgehen, dass dies mit Absicht geschieht.
Diese Politik trifft die EU in einem sehr heiklen Moment, denn es ist derzeit alles andere als klar, wie diese Mindeststandards auszusehen haben und ab wann die EU-Kommission einschreiten sollte. Ungarn hat vorexerziert, was Polen jetzt nachvollzieht. Das vorsichtige Taktieren der EU-Kommission zeigt, wie schwierig die Lage ist. Die Kommission steckt in einem Dilemma.
Fordert sie ein, was sie fordern muss, dann spielt sie den Nationalkonservativen in Polen in die Hände. Also muss sich Brüssel klugerweise und zähneknirschend zurückhalten, auch wenn das eine Kettenreaktion in weiteren Ländern der Gemeinschaft in Gang setzen könnte. Außerdem darf Kommissionspräsident Juncker nicht in Verdacht geraten, mit zweierlei Maß zu messen.
Sonderregelungen für die austrittsgeneigten Briten wären ein schwieriges Signal, auch wenn es hier nicht um Fragen der demokratischen Verfassung geht. Warum angesichts dieser grundlegenden Probleme noch kein Gipfel der Staats- und Regierungschefs einberufen wurde, ist schwer verständlich. Er müsste ähnlich zäh an einem guten Ergebnis arbeiten wie vor wenigen Monaten in Sachen Griechenland. Doch zu solchen Kraftakten scheint die EU derzeit nicht in der Lage zu sein.