Kommentar CDU-Bundesparteitag - Kanzlerinverein

Unter Helmut Kohl galt die CDU als Kanzlerwahlverein. Unter Angela Merkel ist das nicht so, weil die CDU schlicht keine Wahl mehr hat. Denn mit Merkel ist die CDU alles: stärkste politische Kraft in Deutschland und vor allem Regierungspartei mit der realistischen Option, das auch zu bleiben. Ohne Merkel aber wäre die CDU fast nichts.

Darum sollte es auch nicht verwundern, wenn sich Merkel bei den Wahlen zur Parteivorsitzenden nun so langsam der 100-Prozent-Marke nähert, während ihre Stellvertreter - Julia Klöckner ausgenommen - auf der ganzen Linie schwächeln. Kein CDU-Delegierter, der halbwegs rational unterwegs ist, kann ein Interesse daran haben, gegen Merkel zu sein.

Er würde gegen seine Partei und damit gegen sich selbst stimmen. Die CDU kann sich darüber freuen, eine solche starke Frau an ihrer Spitze zu wissen. Sie (und uns) könnte das aber auch ängstigen. Angela Merkel ist jetzt zwölf Jahre Parteivorsitzende, sieben Jahre Bundeskanzlerin, in den Umfragen liegen CDU und CSU bei 38 Prozent; Merkel ist beliebt, geachtet, manchmal gefürchtet; sie ist die mächtigste Frau Deutschlands, Europas, vielleicht der Welt.

Innerparteiliche Gegner, die ihr gefährlich werden könnten, gibt es nicht mehr. Das schließt die Schwesterpartei CSU ein. Außerhalb der Union ist derzeit allein der Kanzlerkandidat der SPD zu nennen. Doch Peer Steinbrücks Start in den Vorwahlkampf ist nachhaltig misslungen. Merkel hat darum keinerlei Anlass, ihre Komfortzone zu verlassen - und das ist keine gute Diagnose für eine Führungspersönlichkeit.

Denn Motivation und Tatkraft speisen sich in der Regel aus Herausforderungen. Wer oder was aber könnte Merkel noch herausfordern? Probleme, die auf eine Lösung warten, gibt es genug - leider sind sie im Kosmos der Kanzlerin nur vorbeiziehende Kometen. Beispiel Eurokrise. Kein Mensch weiß heute, ob es die Gemeinschaftswährung und eine EU, wie wir sie kennen und schätzen, in fünf Jahren noch gibt. Merkel aber gibt in Hannover zu Protokoll, dass sie es sich leicht machen und sagen könnte, das Schlimmste sei "überstanden".

Tatsächlich kann sich die Entwicklung von Konjunktur und Arbeitsmarkt in Deutschland im europäischen Vergleich sehen lassen. Aber wenn die Konsequenz jetzt wäre, nachzulassen bei dem Bemühen, eine große europäische Lösung zu suchen, dann wäre dieser deutsche Erfolg nur ein süßes Gift.

Geht es der CDU und, was ungleich wichtiger ist, dem Land derzeit gut? Die Antwort lautet: ja und ja. Wenn das genügt, dann hat es Merkel verdient, unangefochten an der Spitze ihrer Partei und unseres Landes zu stehen. Wenn es aber darum geht, die CDU und vor allem Deutschland zukunftsfest zu machen, muss Merkel die Komfortzone verlassen. Wer holt sie da raus?

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