Kommentar Bettina Wulffs Rechtsstreit - Im Kampf um die Quote

Bettina Wulff geht in die Offensive, und das ist richtig. Die frühere First Lady hat alle Chancen, die seit Jahren wabernden Gerüchte über eine frühere Tätigkeit im Bordell endlich aus der Welt zu schaffen. Während die Staatsanwälte noch gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff in der Kreditaffäre ermitteln, macht seine Frau nun für sich reinen Tisch.

Die Rufmord-Kampagne gegen Bettina Wulff ist nicht nur eine Geschichte über menschliche Sensationsgier, Neid und Missgunst. Sie ist auch Ausdruck der sich rasant wandelnden Medienbranche, in der der klassische Journalismus angesichts der Gratiskultur des Internets um sein Überleben kämpft.

Für die bunten Blätter und die Boulevardpresse war das Präsidentenehepaar, das 2010 in das Schloss Bellevue einzog, ein Glücksfall. Endlich ein bisschen Glamour auch in der deutschen Politik. Wobei dieser Glanz allein von Bettina Wulff ausging, einer jungen, intelligenten, attraktiven Frau, die locker und selbstbewusst die Rolle der Ersten Dame im Staat auszufüllen wusste.

Das Gerücht, sie habe im Rotlichtmilieu gearbeitet, fand seinen Weg nach Berlin schon sehr schnell nach Wulffs Wahl ins Bundespräsidentenamt. Wer es in die Welt gesetzt hat, ist noch nicht einmal entscheidend. Entscheidend ist, dass die Journalisten, die dem Wahrheitsgehalt der Geschichte nachgingen, bis heute keine Beweise für die rufschädigenden Behauptungen gefunden haben. Dass sie nicht darüber berichteten, dass sie nichts fanden über die First Lady, bestätigt viele Vorurteile gegenüber dem Nachrichtenjournalismus: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.

Wie hart der Kampf um die Aufmerksamkeit der Leser ausgefochten wird, zeigt der Fall der Berliner Zeitung. Sie war sich Ende 2011, als die Kreditaffäre um die Wulffs kochte, nicht zu schade, das Gerücht vom Gerücht zu präsentieren. Das besagte, dass die Bild-Zeitung "angeblich" noch eine Story über Frau Wulff in der Hinterhand habe. Aber, und hier wird es ganz scheinheilig: "Aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten" werde die Geschichte nicht veröffentlicht.

Ist das Tabu erst einmal gebrochen, ist kein Halten mehr. Hatte bis dahin nur eine unseriöse Blogger-Szene im Internet und der enge Politikzirkel in Hannover und Berlin das Gerücht um Bettina Wulff kursieren lassen, war es nun auch den Zeitungslesern und alsbald dem Fernsehpublikum durch eine Frage Günther Jauchs bekannt geworden. Allerdings musste Jauch die Frage stellen, nachdem ein Gast das Thema aufgeworfen hatte und der Bild-Redakteur auch anwesend war. Dessen Dementi konnte den Brand nicht löschen.

Klar ist, das Ehepaar Wulff war in der Zwickmühle. Es fürchtete, durch eine Stellungnahme oder eine gerichtliche Auseinandersetzung noch mehr Staub aufzuwirbeln. Außerhalb von Schloss Bellevue ist Bettina Wulff heute freier, sich zu wehren.

Rufmord ist die schlimmste Form des Gerüchts. Er zerstört das Ansehen eines Menschen in der Öffentlichkeit. Medien, die diese Öffentlichkeit erst schaffen, müssen damit besonders sorgsam umgehen. Wie stark hier das Internet Hemmungen abgebaut hat, zeigt leider der Fall Bettina Wulff.

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