Kommentar Außenminister - der Niedergang eines Amtes

Berlin · Die Koalitionäre verhandeln über Außenpolitik - und keinen interessiert es. Denn zu verhandeln gibt es dort nicht sehr viel. Das hat Gründe. Der wichtigste: Europa-Politik ist von Jahr zu Jahr mehr Innenpolitik geworden. Und damit zum Thema vieler anderer Fachressorts: Finanzen, Wirtschaft, Justiz, Agrar - um nur einige zu nennen.

Und wenn es ganz wichtig wird, verhandeln die Chefs selbst, das aber sind nicht die Außenminister, sondern die Regierungschefs. Nicht zu vergessen: Die gemeinsame europäische Außenpolitik wird immer wichtiger, erscheint EU-Europa doch von außen als Einheit.

Außenpolitik, das ist der zweite Grund, hat in Zeiten der Globalisierung ihren exklusiven Charakter verloren. Jeder redet mit jedem, dauernd. Das hat noch einen Nebeneffekt: Was der einzelne redet, hat viel weniger Bedeutung als früher. Es steht sozusagen im umgekehrten Verhältnis zu dem Aufwand, den der amtierende Außenminister Guido Westerwelle betreibt. Der jettet zwar pausenlos um den Globus wie weiland nur Hans-Dietrich Genscher. Aber die Resultate dieser Reisen werden immer geringer. Was überhaupt nicht mit der Person zusammenhängt. Jedem anderen Außenminister ginge es ähnlich.

Deshalb reißt sich ja auch niemand mehr um dieses Amt. Es ist - Kriseneinsätze wie der vergangene Woche, als Westerwelle den US-Botschafter einbestellen musste, ausgenommen - zu einem dekorativen Beiwerk geworden. Einem notwendigen gewiss, denn Kontakte wollen gepflegt werden. Aber eben in einem Amt, dessen Politik nicht mehr prägend ist.

Das muss nicht so sein. Denn zwischen Neujahrsempfang und Gipfeltreffen gibt es eine Notwendigkeit, die in diesen Tagen offensichtlicher wird denn je: die Pflege des Netzwerkes, die Pflege guter Beziehungen. Man muss dabei nicht zuvorderst an die USA denken, die es sich durch ihre maßlose Spähpolitik gerade mit vielen Freunden, nicht nur in Europa verderben.

Man darf zum Beispiel an Russland denken. Die deutsch-russischen Beziehungen haben sich in der Weise verschlechtert, in der Putins Moskau den Rückwärtsgang Richtung Diktatur eingelegt hat. Wenn es gelingt, hier über kluge Kontakte Einflussmöglichkeiten zu behalten, ist schon viel gewonnen. Anderes Beispiel: die weithin vergessenen Staaten des arabischen Frühlings. Guido Westerwelle ist hier - den Libyen-Fehler einmal außen vorgelassen - überlegter und "nachhaltiger" vorgegangen als andere. Will sagen: Außenpolitik bewährt sich in Krisenzeiten, wenn man alle Beziehungen, die freundschaftlichen und die gespannten, pflegt. Wenn man nicht nur dann aufeinander zugeht, wenn es gerade kracht. Vielleicht wäre dann auch ein Eklat wie der zwischen Angela Merkel und Barack Obama vermeidbar, zumindest anders bearbeitbar gewesen.

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