Kommentar Al-Sisi-Besuch in Berlin - Falsche Strategie

Es ist ein prekäres Timing, wenn der ägyptische Präsident Abel Fatah al-Sisi am 3. Juni von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Staatsbesuch in Berlin empfangen wird. Gerade einmal einen Tag zuvor wird ein ägyptisches Gericht in einem Verfahren, das Amnesty International als eine Scharade bezeichnet hat, sein endgültiges Urteil fällen.

Dann wird sich entscheiden, ob der von Al-Sisi gestürzte ehemalige Präsident Muhammad Mursi und mit ihm 105 andere, darunter ein guter Teil der Führung der Muslimbrüderschaft, zu Tode verurteilt werden. Allein letztes Jahr sind in Ägypten 1400 Menschen in Massenschnellverfahren zu Tode verurteilt worden. In einem Fall 500, die für den Tod eines einzelnen Polizisten verantwortlich gemacht worden waren.

Die Strategie der ägyptischen Regierung ist klar. Sie verkauft sich als einen Hort der Stabilität in einer Nachbarschaft, die in einem Meer von Kriegen und IS-Dschihadisten versinkt. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hat vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in Kairo Al-Sisi bereits als die bessere Alternative zur Muslimbruderschaft bezeichnet und das ägyptische Regime zum Partner im Kampf gegen den IS erklärt.

In Deutschland gibt es darüber eine kleine Diskussion, nachdem Parlamentspräsident Norbert Lammert angekündigt hatte, dass er sich weigere, aufgrund der Menschenrechtslage in Ägypten Al-Sisi in Berlin zu treffen. Aber Merkel hat sich eindeutig entschieden. Die ursprüngliche deutsche Bedingung, Al-Sisi erst zu empfangen, wenn dieser Parlamentswahlen hat abhalten lassen, wurde über Bord geworfen. Im Namen der Stabilität scheint eine gewählte Legislative nicht so wichtig. Und eigentlich sind mögliche ägyptische Parlamentswahlen, wann immer sie stattfinden, ohnehin wenig repräsentativ, wenn sie unter dem Ausschluss der letzten Wahlsieger, der Muslimbrüder, stattfinden, die im Gefängnis sitzen.

Doch wenn die Muslimbrüder nicht Teil des politischen System sind, welche Alternative bleibt den Islamisten, außer sich zu radikalisieren und zu militarisieren? Egal, was man von den Muslimbrüdern hält, sie sind ein Teil der politischen Landschaft der arabischen Welt. Wäre also nicht der einzige effektive Weg, sie durch bessere Alternativen an den Wahlurnen zu besiegen, wie das in Tunesien geschehen ist?

Nun macht Europa also das, was es seit Jahrzehnten gemacht hat. Es setzt auf repressive arabische Regime als Garant der Stabilität und als Partner im Kampf gegen militante Islamisten. Dabei wird auch akzeptiert, dass moderateren Islamisten der Marsch durch die Institutionen verwehrt bleibt, mit all den Konsequenzen der Radikalisierung, die das nach sich zieht. Statt den IS zu bekämpfen, wird man mit einer solchen Politik erst recht mehr IS ernten.

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