Kommentar 50 Jahre Élysée-Vertrag - Riesiges Potenzial

Die Goldene Freundschaft, die Deutschland und Frankreich mit dem 50-Jahr-Jubiläum des Élysée-Vertrages feiern, erinnert an ein Familienfest zur Goldenen Hochzeit.

Das Paar hält in andächtigem Ton Reden, die die Verwandtschaft in Gedanken mit den Momenten kontrastiert, in denen die Fetzen flogen. Die Zuhörer sind skeptisch bei all den guten Vorsätzen und denken, damals sei alles besser gewesen, als beide noch echtes Feuer füreinander empfanden.

Und vergessen, dass es angesichts aktueller Scheidungsraten tatsächlich eine Leistung ist, 50 Jahre Kompromisse durchzuhalten und sich dabei so sehr angenähert zu haben, dass es miteinander zwar oft schwierig ist. Aber ohne einander nicht mehr geht.

Trotz so mancher berechtigter Kritik am deutsch-französischen Paar und dem zeitweisen Stottern des berühmt-berüchtigten "Motors der EU": In der Selbstverständlichkeit der heutigen Beziehungen besteht die eigentliche Errungenschaft. Telefonieren die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident miteinander, ist das längst kein Presse-Kommuniqué mehr wert.

Dass sie sich vor wichtigen internationalen Gipfeln zum Tête-à-Tête treffen, gilt als übliche Praxis. Umfragen bestätigen, dass Deutsche und Franzosen einander nicht nur politisch der erste Partner sind und wirtschaftlich sowieso, sondern auch persönlich. Das Bild vom misstrauisch beäugten Erbfeind gehört der Vergangenheit an.

Es war noch sehr präsent, als sich Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1963 zu einer Unterschrift unter einen Vertrag entschlossen, der als der Meilenstein gerühmt wird, aber stark von politischen Eigeninteressen angetrieben war. Und der eine Entwicklung fortführte, die bereits mit der Europa-Erklärung des französischen Außenministers Robert Schuman im Mai 1950 ihren Anfang genommen hatte.

Dieser Weg der Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich ist längst noch nicht beendet, zumal die kulturellen Unterschiede und damit auch das Unverständnis zwischen beiden Ländern größer sind, als es die geografische Nähe vermuten lässt.

Während durch die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks aus dem politischen Willen zur Begegnung der Jugend lebendige Realität wurde, blieben die Vorsätze für eine grundsätzlich eng abgestimmte Sicherheits- und Außenpolitik unkonkret, oft unvollendet.

In der Ära des deutsch-französischen Polit-Paares Angela Merkel und François Hollande überwiegen in der öffentlichen Wahrnehmung oft die Unterschiede. Das liegt sicher auch an den oft lau klingenden Bekenntnissen zur guten gemeinsamen Zusammenarbeit.

Gerade von Hollande war diese Distanz vor allem zu Beginn seiner Amtszeit auch gewollt, um sich von seinem Vorgänger Sarkozy und dessen exzessivem Anlehnen an den wirtschaftlich so gut dastehenden Partner zu distanzieren.

Doch hat er mit Premierminister Jean-Marc Ayrault einen feinen Deutschland-Kenner eingesetzt. Ein positives Signal, weil die Partnerschaft nur mit der tieferen Kenntnis des anderen reibungsloser funktioniert. Für ein Ehepaar mögen 50 gemeinsam verbrachte Jahre lange erscheinen. Für zwei Völker ist es kurz. Und das Potenzial gewaltig.

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