GA-Interview Gerd Landsberg: "Bonn muss einfach flippiger werden"

BONN · Flüchtlinge, Finanzen, Festspielhaus: Das Themenspektrum des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist fast unerschöpflich. Mit Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sprachen Andreas Baumann, Jörg Manhold und Helge Matthiesen.

 Beim GA-Interview: Gerd Landsberg.

Beim GA-Interview: Gerd Landsberg.

Foto: Barbara Frommann

Die Bundesregierung gibt mehr Geld für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge aus. Ist das ausreichend?
Gerd Landsberg: Das ist ein erster wichtiger und richtiger Schritt. Wir erwarten eine Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa. Wir müssen uns personell, finanziell und organisatorisch neu aufstellen, um die Flüchtlingsströme zu meistern. Eine neue nachhaltige Flüchtlingspolitik setzt zunächst voraus, dass die Dimension richtig eingeschätzt wird.

Das heißt?
Landsberg: Das Bundesamt für Migration ist für das Jahr 2015 zunächst von 300 000 Asylbewerbern ausgegangen. Diese Zahl wurde auf 450 000 korrigiert, nach unserer Einschätzung können es aber auch über 500 000 Personen werden. Notwendig ist deshalb, die in Aussicht gestellte personelle Aufstockung beim Bundesamt tatsächlich umzusetzen, damit über die Asylanträge schneller entschieden werden kann.

Wie schnell?
Landsberg: Insbesondere bei Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsgebieten sollte die Entscheidung über einen Asylantrag binnen weniger Wochen gefällt werden können. Die Kommunen dürfen nicht überfordert werden, wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht in Frage gestellt werden soll. Deshalb müssen jetzt langfristige und nachhaltige Lösungen zugunsten der Kommunen umgesetzt werden.

Wie kann man Flüchtlinge integrieren?
Landsberg: Die beste Integration ist die Einbindung in den Arbeitsprozess. Wer hier die Anstrengungen erhöht, schafft Akzeptanz, Zufriedenheit der Betroffenen und entlastet die öffentlichen Haushalte. Die Länder sind gefordert, die Aufnahmekapazität ihrer Erstaufnahmeeinrichtungen zu erhöhen. Es muss grundsätzlich sichergestellt werden, dass bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung die Entscheidung über den Asylantrag gefällt wird. Erst danach sollte eine Verteilung auf die Kommunen erfolgen. Soweit es sich um Wirtschaftsflüchtlinge zum Beispiel aus den Balkanstaaten handelt, sollten diese in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben. Wenn sie kein Asyl bekommen, müssen sie ausreisen oder abgeschoben werden.

Aber das geschieht doch nicht...
Landsberg: Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern, die sich insoweit auf eine entsprechende Strategie verständigen müssen. Zurzeit werden etwa 52 Prozent aller Asylanträge in Deutschland von Personen gestellt, die aus sicheren Herkunftsländern kommen. Hier muss bereits in den Herkunftsländern bei den dortigen Regierungen deutlich darauf hingewiesen werden, dass das deutsche Asylsystem nicht darauf ausgerichtet ist, reinen Wirtschaftsflüchtlingen ein Bleiberecht in Deutschland zu geben.

Zurück zum Geld. Das reicht doch nicht...
Landsberg: Notwendig sind weitere finanzielle Hilfen von Bund und Ländern. Es ist zwar zu begrüßen, dass der Bund für das Jahr 2015 seine Mittel auf eine Milliarde Euro verdoppelt. Wenn die Zahlen jedoch so weiter steigen, wird dies nicht ausreichen. Dementsprechend müssen auch die Bundeshilfen für den Aufwuchs der Asylbewerberanträge angepasst werden. Umgekehrt sind die Länder gefordert, gemeinsam mit dem Bund sicherzustellen, dass die kommunalen Haushalte nicht mit den Unterbringungskosten, den Integrations- und Gesundheitskosten der Asylbewerber belastet werden. Wir sollten nicht nur die Belastungen beklagen, sondern auch die Chancen nutzen, die Zuwanderung bietet. Dies ist auch im Interesse der Wirtschaft, die immer weniger geeignetes Fachpersonal findet.

Soziale Spannungen befürchten Sie dabei nicht?
Landsberg: Die sind zu erwarten, wenn es in Orten Diskussionen um Fragen gibt wie Kindergarten oder Flüchtlingsunterkunft, Hallenbad oder Integrationskosten. Das müssen wir vermeiden. Bisher finden solche Diskussionen nur ganz vereinzelt statt. Aber man muss das natürlich auch im Auge behalten.

Und die dauerhafte Finanzierung?
Landsberg: Es ist zwar Aufgabe der Kommunen, diesen Menschen zu helfen und die Hilfe zu organisieren, die Finanzierung ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bund und Länder vollständig übernehmen müssen. Die ist auch notwendige Voraussetzung, damit vor Ort die Akzeptanz und die Solidarität mit Flüchtlingen nicht infrage gestellt wird.

Ist es den Bürgern noch zu vermitteln, dass die Steuern sprudeln wie nie zuvor, aber die Hallenbäder nur noch nachmittags öffnen?
Landsberg: Eindeutig nein. Aber man muss natürlich nicht nur auf die Einnahmen schauen, sondern auch auf die Ausgaben. Die Sozialausgaben steigen immer noch schneller als die Einnahmen. Da hat eine Stadt wie Bonn kaum Einfluss. Sie kann sparen, aber die Wirkung ist relativ beschränkt. An den gesetzlichen Pflichten lässt sich nichts ändern, denn die Stadt muss zum Beispiel die Jugend-, Sozial- und Eingliederungshilfe finanzieren nach den Vorgaben von Bund und Land. Wir haben in soweit eine grundsätzliche unfaire Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Was schlägt Ihr Verband vor?
Landsberg: Wir bemühen uns, im Rahmen der Neuregelung der Finanzbeziehungen daran etwas zu ändern. Wir haben auch jetzt schon viel erreicht. Denn es hat noch keine Bundesregierung gegeben, die die Kommunen so stark entlastet hat wie diese. Dabei geht es um insgesamt fast 20 Milliarden Euro. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die Grundstruktur falsch ist. Bund und Länder beschließen Wohltaten und die Kommunen müssen sie nicht nur umsetzen, sondern auch noch bezahlen.

Was stört sie dabei an der aktuellen Sozialpolitik?
Landsberg: Wir haben eine Schieflage in Richtung der sozialen Themen. Wir beschäftigen uns auf allen politischen Ebenen fast ausschließlich mit sozialer Gerechtigkeit und schaffen eine riesige Bürokratie. Das wichtige Thema Infrastruktur spielt in den Sonntagsreden eine Rolle, aber im tatsächlichen politischen Handeln immer weniger. Wir haben eine Studie, die besagt, dass allein die Kommunen einen Investitionsstau von 132 Milliarden Euro haben. Das wird Jahre dauern, um hier etwas zu erreichen.

Bonn geht bei den öffentlichen Gebäuden von 500 Millionen Euro aus. Wie kann eine verschuldete Stadt das schaffen?Landsberg: Der Bund stellt 3,5 Milliarden Euro für Investitionen finanzschwacher Kommunen zur Verfügung. Das ist eine Chance, kann aber nur der Anfang sein. Wir fordern, dass der Solidaritätszuschlag nicht abgeschafft wird. Das sind zurzeit 14 Milliarden Euro im Jahr. Davon sollte dauerhaft ein Investitionsfonds eingerichtet werden, der schwachen Kommunen hilft. Aus eigener Kraft kann das weder Bonn noch eine andere finanzschwache Stadt schaffen.

Müssen die Kommunen nicht viel mehr Personal abbauen, um etwas für die Haushalte zu tun?
Landsberg: Ich glaube nicht, dass der öffentliche Dienst überbesetzt ist. Die Menschen wollen, dass die Kommunen mehr leisten, aber all das darf möglichst nichts kosten. Das ist bei den Kitas sehr deutlich. Da fordert die Gewerkschaft mehr Geld und mehr Anerkennung - das ist auch in Ordnung - aber warum hat man einen Teil der Kindergartengebühren abgeschafft? Ich denke, zwei Akademiker mit Einkommen könnten einen Beitrag leisten. Die Tendenz ist aber eher, Vater Staat und Mutter Staat sollen alles regeln. Wir müssen den Bürgern sagen, dass es mehr Geld kosten wird, wenn sie mehr Leistung möchten.

Hat der Frust der Bürger etwas mit der Zersplitterung der Räte zu tun?
Landsberg: Ich halte die Aufhebung der Sperrklausel für einen Kardinalfehler. Entscheidungen dauern einfach viel, viel länger. Ich glaube, dass die Drei-Prozent-Hürde ganz wichtig wäre und wir werden uns als Verband auch weiter dafür einsetzen. Letztlich ist Zersplitterung gefährlich für die Kommunalpolitik.

Packt die Kommunalpolitik die Sache falsch an?
Landsberg: Nach meiner Meinung muss man sehr viel mehr auf das Netz setzen. Menschen unter 30 wollen ihre Informationen auf Facebook und nicht in einer Ratsvorlage. Das hat auch mit der Stimmung in einer Stadt zu tun. Bonn ist ein gutes Beispiel. Die Stadt muss einfach flippiger werden. Wir sollten nicht hinnehmen, dass die Studenten lieber in Köln feiern und nicht in Bonn.

[zurperson]Was fehlt Ihnen in der Stadt, was muss anders werden?
Landsberg: Bonn sollte in Teilbereichen mutiger sein. Ob das Veranstaltungen sind, die auch mal Krach machen. Was war das für ein Theater um die Lichtanimation des Posttowers. Das Festspielhausprojekt finde ich sehr gut. Was glauben Sie, wie viele Städte in Deutschland sich die Finger lecken würden, wenn drei Dax-Unternehmen sagen, wir geben euch ein großen Millionenbetrag und bauen ein Festspielhaus und der Bund gibt auch noch Geld dazu. Das muss man einfach umsetzen.

Fehlt Verwaltung und Kommunalpolitik in Bonn der Mut dazu?
Landsberg: Die Kommunalpolitik sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass bei so einem Projekt am Ende alle dafür sind. Und wenn so etwas gebaut wird, dann muss das professionell organisiert werden. Die Vorstellung, das macht ein städtische Beigeordneter so nebenher ist doch völlig illusorisch. Wenn es um 200 Jahre Beethoven und ein Festival geht, dann muss das ein internationaler Auftritt sein. Ich glaube, dass das für das Image der Stadt eine riesige Chance wäre.

Fühlen Sie sich mit Ihrem Verband noch wohl in Bonn?
Landsberg: Ich habe nie verstanden, warum es in Bonn keinen jährlichen Verbandstag gibt. So eine Veranstaltung könnte zum Beispiel mit den Verbänden und den Bundesministerien in Bonn im zweiten Amtssitz des Bundespräsidenten in der Villa Hammerschmidt stattfinden.

Sehen Sie Bonn denn in der Gefahr, weitere Verbandsstandorte zu verlieren?
Landsberg: Wir haben einen ganz klaren Rutschbahneffekt, auch in den Ministerien. Die politischen Entscheidungseinheiten werden zunehmend nach Berlin verlagert.

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