"Wir können uns nicht mehr alles leisten"

GA-Interview mit der schwarz-grünen Ratsmehrheit: Fraktionschef Klaus-Peter Gilles (CDU) und die Fraktionssprecher der Grünen, Dorothea Paß-Weingartz und Peter Finger, sprechen über Sparzwänge, Verkehrsprobleme und Steuererhöhungen.

 Im GA-Interview: In die Mitte nehmen die Grünen-Sprecher Dorothea Paß-Weingartz und Peter Finger den Partner von der CDU, Klaus-Peter Gilles.

Im GA-Interview: In die Mitte nehmen die Grünen-Sprecher Dorothea Paß-Weingartz und Peter Finger den Partner von der CDU, Klaus-Peter Gilles.

Foto: Volker Lannert

Können Angela Merkel und Jürgen Trittin von Ihnen lernen, wie Schwarz-Grün geht?

Paß-Weingartz: Ich finde, dass Schwarz-Grün auf kommunaler Ebene gut funktioniert und dass wir 2011 vieles für die Stadt Bonn zustande gebracht haben.
Gilles: Man kann uns natürlich nicht mit der Bundesebene vergleichen, aber ich kann mir eine Zusammenarbeit von CDU und Grünen im Bund vorstellen. Bei den Themen Finanzen und Nachhaltigkeit sehe ich die gleiche Werteorientierung bei unseren Partnern, die sich in konkrete Politik ummünzen lässt.

Ihre Kritiker lästern gern, in der Koalition wedele der grüne Schwanz mit dem schwarzen Hund. Wer hat das Sagen?
Gilles: Ich weiß, dass das in der eigenen Parteibasis ein Thema ist. Es gibt aber auch Grüne, die sagen, da wedelt der riesige schwarze Hund zu sehr mit dem grünen Schwanz. Nein: Wir haben sehr offene Diskussionen, die zu einem gemeinsamen Ergebnis führen.
Paß-Weingartz: Es zeichnet diese Koalition sehr aus, dass wir sachlich miteinander diese Stadt voranbringen wollen. Gerade nach der Erfahrung der rot-grün-gelben Koalition muss ich sagen, dass wir sehr fair miteinander arbeiten.

Wer hat sich beim Festspielhaus stärker durchgesetzt: die grünen Projektskeptiker oder die Befürworter in der CDU?
Paß-Weingartz: Weder, noch. Es hat sich eine Position durchgesetzt, die vor dem Hintergrund der Haushaltssituation unabdingbar war. Wir haben klar signalisiert, dass wir das Engagement der Post und der Bürger für ein Festspielhaus gut finden und unterstützen. Bis Juni 2012 müssen wir alle Varianten durchdiskutiert haben, damit wir bis zum Beethoven-Jubiläum einen höchsten Ansprüchen genügenden Konzertsaal schaffen können.

Ist der Betrieb eines neuen Festspielhaus finanzierbar?
Finger: Wir würden es begrüßen, wenn die Investitionsmittel tatsächlich beschafft werden können. Aber zugleich müssen wir auf den Haushalt achten. Aktuell ist das Geld für Betriebskosten im Etat nicht vorhanden.

Wie hoch darf denn der jährliche Zuschuss der Stadt maximal sein?
Paß-Weingartz: Wir haben in der Finanzplanung bis 2015 eine bestimmte Summe, die wir in die Betriebskosten der Beethovenhalle investieren. Wir haben gesagt: Keine Beteiligung an Investitionskosten, und keine Beteiligung an Betriebskosten über das hinaus, was wir bisher finanzieren.
Gilles: Ich persönlich bin ein Befürworter des Projektes. Ich halte es für wünschenswert, wenn auch nicht für notwendig. Notwendig ist etwas, das man tun muss, um eine Not abzuwenden. Ich halte das Projekt aber für standortrelevant und freue mich, wenn die Rahmenbedingungen so wären, dass wir es hinkriegen. Aber nicht nach der Devise: neue Schulden für neue Spiele.

Da neben dem Festspielhaus auch die Beethovenhalle weiterbetrieben werden soll, müsste also anderswo gespart werden?
Finger: Wir werden den Doppelhaushalt 2013/2014 Mitte des Jahres vorgelegt bekommen. Und dann wird das ein Teil der Diskussion sein, vorausgesetzt, die Investition kommt zustande - was wir uns ja wünschen.

Dauerstau auf den Straßen, überfüllte Busse und Bahnen: Wie wollen Sie den Verkehrskollaps in Bonn verhindern?
Paß-Weingartz: Wir wollen Bonn zur fahrradfreundlichen Stadt ausbauen. Wir machen uns auch Gedanken, wie absehbare Staus vermieden werden können...

Fahrräder allein werden da nicht helfen...
Finger: Ich glaube, dass der diskutierte Ausbau der Straßen die Probleme nicht löst. Wenn Sie auf der Autobahn Spuren erweitern, staut es sich an den innerstädtischen Engstellen, und dort ist kein Platz für Straßenausbau. Für die stärkere Nutzung von Fahrrädern brauchen wir eine bessere Vernetzung der Wege, auch so etwas wie Ladestationen für Elektrofahrräder. Und dann muss natürlich der ÖPNV ausgebaut werden.

Mit welchem Geld? Die Preise im VRS sind jetzt schon so hoch, dass es Ihnen in der Seele weh tun müsste.
Finger: Wir hängen zum Teil vom Bund und vom Land ab, welche Mittel bereitgestellt werden. Wir können das allein aus dem Stadthaushalt nicht tun. Die Menschen müssen aber zum Umsteigen motiviert werden.
Gilles: In den Grundlinien gibt es auch da keinen Dissens mit den Grünen. Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur auf einen Verkehrsträger setzen sollten. Wir müssen die Kräfte bündeln, mit dem Ziel, umweltgerecht zu handeln.

Ist die Hardtbergbahn noch ein Thema?
Finger: Grundsätzlich ja. Die Anbindung des Bonner Westens bleibt ein wichtiges Infrastrukturprojekt.

Wie soll das bezahlt werden? In welchem Zeitraum?
Paß-Weingartz: Ich sehe in den nächsten Jahren leider keine finanziellen Chancen.

Sie haben Pläne der Stadtverwaltung abgesegnet, ab 2013 unter anderem Grund- und Gewerbesteuer zu erhöhen. Bleibt es dabei?
Finger: Wenn die Finanzsituation es hergibt, würden wir vor allem auf die Grundsteuererhöhung, die ja auch Mieter trifft, verzichten wollen. Das kann man derzeit seriös nicht beantworten.
Gilles: Die eingepreisten Erhöhungen stehen unter dem Vorbehalt, ob wir Spielräume kriegen, darauf verzichten zu können.
Finger: Ich glaube, dass die Gefahren für den Haushalt unterschätzt werden. Keiner weiß, wie das mit der Eurokrise weitergeht. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Situation für Kommunen verschärfen könnte. Werden wir Kredite möglicherweise unter erschwerten Bedingungen bekommen? Kämmerer Sander sagt mir, dass die Zahl der Banken, die Angebote für Kommunalkredite abgeben, sinkt. Das könnte zu höherer Zinsbelastung führen. Wenn es hart auf hart kommt, könnten wir in drei, vier Jahren in eine Situation hineinlaufen, in der wir über betriebsbedingte Kündigungen in der Stadtverwaltung sprechen müssen. Es gibt keine Alternative zu unserem Kurs, die Kassenkredite nicht weiter anwachsen zu lassen. Ich halte es für machbar, dass wir 2015 eine schwarze Null schaffen.

Vor diesem Hintergrund möchten wir ja fast schon Wetten abschließen, dass die Steuererhöhungen doch kommen werden..Gilles: Wir haben leider das große Problem, dass wir keine verlässlichen Indikatoren haben, wo es hingeht. Im Moment sprudeln die Steuern, aber keiner weiß, ob das so bleibt.

Ohne Hilfe von Bund und Land wird es Bonn nicht schaffen. Aber wo spart die Stadt selbst? Werden Schwimmbäder, Bibliotheken, Veranstaltungshallen geschlossen?
Paß-Weingartz: Wir hatten untereinander schon die ersten Debatten um den nächsten Doppelhaushalt, und das ist eine tabulose Diskussion. Das erste Ziel ist Konsolidierung. Das zweite muss sein, Prioritäten zu setzen. Wir können uns nicht mehr alles leisten. Da wird es auch Diskussionen um Schwimmbäder und Sportstätten geben.

Bisher ist nicht gespart, sondern nur an der Steuerschraube gedreht worden...
Gilles: Ich gebe Ihnen teilweise recht. Es hat mich gestört, dass wir mehr an der Einnahmeverbesserungsschraube gedreht haben als an der Aufwandsreduzierungsschraube. Der erste Schritt war, mit unglaublichen Anstrengungen eine passgenauere Budgetplanung hinzukriegen, dort die Luft raus zu lassen. Im zweiten Schritt müssen wir Strukturen hinterfragen. Dritter Schritt: intelligenter nutzen oder aufgeben?

Konkret bitte: Sind Sie bereit, die Schließung eines Schwimmbades mitzutragen?
Gilles: Ja. Das kann aber auch heißen, dass man es an einen Dritten überträgt. Wir müssen allerdings zunächst das Bäderkonzept abwarten, das in Kürze vorgelegt werden soll.

OB Nimptsch hält 20 Millionen Euro Einsparung pro Jahr für machbar. Realistisch?
Finger: Ja.

Wird Bonn auch in Zukunft eine Oper haben?
Gilles: Ja. Das ist auch die Geschäftsgrundlage für die laufende Intendantensuche.

Die städtischen Hallen haben einen millionenschweren Sanierungsstau. Je länger man wartet, um so schlimmer wird es. Was tun?
Gilles: Das ist ein Problem, das viel zu wenig wahrgenommen wird, weil es hier um die Schulden von morgen geht. Unterlassene Instandhaltung ist Werteverzehr. Der Instandhaltungsbedarf der kommunalen Infrastruktur wird immer größer. Das ist ein Dilemma, aus dem wir so einfach nicht herauskommen. Da müssen wir möglicherweise über neue Strukturen nachdenken.
Finger: Zinsen für Investitionskredite sind historisch niedrig. Wir müssen uns bei den Haushaltsberatungen ernsthaft angucken, ob man nicht gezielt in die Stadthalle Godesberg und Beethovenhalle investiert. Das ist ein Frage des Gesamthaushalts.
Paß-Weingartz: Aber bevor wir die Hallen machen, machen wir die Schulen. Die stehen an erster Stelle...

Gerade dann fragt sich aber, ob Sie um die Schließung einer Halle herumkommen?
Gilles: Es liegt die Vermutung nahe, dass wir Überkapazitäten haben, auch durch private Hallen wie bei T-Mobile, und dass wir eine Reduzierung brauchen. Wo, das muss man finanztechnisch prüfen. Auch das Hallenkonzept ist uns die Verwaltung noch schuldig, ebenso das Kulturkonzept. Gesamtsteuerung und konzeptionelle Ansätze sind in dieser Stadtverwaltung mangelhaft. Die Prozesse dort müssen optimiert werden. Wenn die Leitungsebene um den OB aber so arbeitet, wie sie arbeitet, wenn wir uns im Kreis drehen, um auch nur ein Organigramm hinzukriegen, hat das mit Effizienz nichts zu tun.

Hat Jürgen Nimptsch die Organisation nicht im Griff?
Gilles: Ich sehe erheblichen Optimierungsbedarf.

Sein Verhältnis zur Koalition war mal sehr angespannt. Wie läuft es jetzt?
Paß-Weingartz: Wir führen wöchentliche Gespräche miteinander. Wenn ich darf, mein Rat an ihn: mehr Führung der Verwaltung statt Repräsentationstermine! Ich glaube, dass dies im Inneren der Verwaltung viel besser ankommen würde.

Das Verwaltungspersonal klagt aber auch über Überlastung. Haben Sie beim Sparen die Grenze überschritten?
Paß-Weingartz: Wir müssen in diesem riesigen Personaletat einsparen. Ich glaube aber, dass wir in Kommunikation mit dem Personalrat verantwortlich gehandelt haben.
Gilles: Es kann sicher Bereiche geben, in denen eine Überlastung da ist. In der Breite der Verwaltung kann man das nicht sagen. Auf unsere Initiative hin hat das Organisationsamt vier neue Stellen bekommen. Dort läuft in den nächsten Jahren eine umfassende Organisationsüberprüfung der Verwaltung.

Eine Initiative aus Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und IHK beklagt politischen Stillstand in Bonn: Kriegen Sie zu wenig geregelt?
Paß-Weingartz: Wir nehmen das sehr ernst, aber wir teilen die Beschreibung der Situation nicht. Wir beteiligen uns selbstverständlich an den Runden Tischen, die jetzt gestartet sind. Wir haben ein schweres Erbe angetreten - WCCB, Festspielhaus - und versuchen, das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen. Das hatte der Rat unter Frau Dieckmann nicht mehr.

Konkrete Beispiele, was Sie bewegt haben?
Gilles: WCCB, Nothaushalt vermieden, Haus der Bildung, Festspielhaus. Zum Vorwurf des "Mehltaus" über der Stadt: Wir tun alles, wieder klare Sicht zu schaffen.

Können Sie sich zur nächsten Wahl einen gemeinsamen OB-Kandidaten vorstellen?
Gilles: Ich würde es mir wünschen, welche Farbe der auch immer hat. Er muss kein Parteibuch haben.
Paß-Weingartz: Es gibt derzeit wichtigere Probleme. Ein Kandidat muss Ahnung von der Verwaltung haben. Wir brauchen jemanden nach Dieckmann und Nimptsch, der diese Stadt voranbringt, und in der Fachkenntnis nicht bei Null anfängt.

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