Interview mit Hartmut Mehdorn "Viele Weichen wurden falsch gestellt"

BONN · Der Berliner Flughafenchef Hartmut Mehdorn spricht im Interview mit dem GA über Entpolitisierung, Baurecht und das Sankt-Florians-Prinzip.

 Hartmut Mehdorn im GA-Interview.

Hartmut Mehdorn im GA-Interview.

Foto: Barbara Frommann

Hartmut Mehdorn ist verantwortlich für die wohl bekannteste Baustelle der Republik: Der Großflughafen Berlin Brandenburg (BER) beherrscht vor allem mit Pleiten, Pech und Pannen die Schlagzeilen. Als Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen-Betreibergesellschaft sprach Mehdorn in Bonn mit Delphine Sachsenröder über die Hintergründe der Kostensteigerung, warum er keinen Eröffnungstermin nennt und welche Fallstricke bei öffentlichen Großprojekten drohen.

Wann starten die ersten Flugzeuge vom Berliner Großflughafen in Schönefeld?
Hartmut Mehdorn: Der Start ist viermal verschoben worden, ein fünftes Mal wird es nicht geben. Deshalb nenne ich keinen Termin, bevor ich mir mit dem Zeitplan nicht komplett sicher bin.

Sie leiten die Flughafengesellschaft seit rund eineinhalb Jahren, und trotzdem können Sie den Eröffnungstermin heute nicht abschätzen?
Mehdorn: Berlin hat zwei funktionierende Flughäfen, es gibt keinerlei Notstand. Aber wir werden den BER so zügig und sicher wie möglich ans Netz bringen. Dabei geht es nicht nur um die Baustelle. Wir sind auch von zahlreichen gesetzlichen Regelungen betroffen, und wir kämpfen gegen ein viel zu kompliziertes Baurecht an, bei dem sich selbst Experten schwertun, es nachzuvollziehen.

Zum Beispiel?
Mehdorn: Ich überspitze es mal: Der Flughafen hat ein paar 10 000 Steckdosen, und es liegt im Ermessen eines unabhängigen Sachverständigen, ob er jede einzelne prüft, jede tausendste oder jede zehntausendste. Das Baurecht ist inzwischen so kompliziert, dass viele deutsche Firmen keine Großprojekte mehr annehmen. Die werden oft nur noch von ausländischen Anbietern umgesetzt, die eigens dafür Tochterfirmen gründen, die später wieder aufgelöst werden.

Das hört sich so an, als ob es bis zur Inbetriebnahme noch lange dauern könnte.
Mehdorn: Intern haben wir einen sehr detaillierten Terminplan. Wir haben mit den Fluglinien die Vereinbarung getroffen, dass wir sie ein Jahr vor der Eröffnung über das Datum informieren.

Auch bei den Kosten hat es immer wieder Änderungen gegeben. Was ist der letzte Stand?
Mehdorn: Wir brauchen für den Flughafen so, wie wir ihn gerade bauen, 5,4 Milliarden Euro.

Im Jahr 2009 waren nur 2,9 Milliarden Euro veranschlagt.
Mehdorn: Der Flughafen war früher mal für 17 Millionen Passagiere im Jahr gedacht. Diese Pläne sind nach und nach erweitert worden. In absehbarer Zeit werden wir über 40 Millionen Passagiere haben. Berlin lockt Touristen an, die Wirtschaft springt an, und Deutschland hat nun einmal nur eine Bundeshauptstadt.

Wieso wird dieser Bedarf erst jetzt erkannt?
Mehdorn: Die Welt hat sich weitergedreht. Damals, 1996, als die Flughafen-Entscheidung gefällt wurde, lag Berlin am Boden. Das ist heute ganz anders. Erschwerend kommt hinzu, dass die drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund beim Flughafen nicht immer einer Meinung sind.

Also trägt die Politik Schuld am Berliner Flughafen-Chaos?
Mehdorn: Die Frage nach der Schuld stellt sich mir so nicht. Das wäre zu simpel. Daran, dass die Eröffnung vor meiner Zeit mehrere Male verschoben werden musste, waren viele beteiligt. Klar ist in der Rückschau, dass am Anfang viele Weichen falsch gestellt wurden. Über den Erfolg eines Großprojekts entscheiden die ersten Wochen und Monate.

Der Flughafen ist nicht das einzige öffentliche Großprojekt mit Schwierigkeiten. Wo lauern die Gefahren?
Mehdorn: Jedes Projekt ist anders und hat seine eigenen Fallstricke. Allerdings gibt es auch wiederkehrende Probleme. Zum Beispiel, wenn nicht alle beteiligten Gruppen von Anwohnern bis zu Kirchen oder Naturschutzverbänden ausreichend informiert und einbezogen werden - auch später während der Bauphase. Ein Beispiel dafür ist Stuttgart 21. Außerdem muss den Planern von Anfang an klar sein, dass etwa Architekten bei Ausschreibungen oft bewusst mit zu niedrigen Preisen arbeiten, um die politische Zustimmung für ein Projekt zu fördern und um den Zuschlag zu erhalten. Oft wird nicht mit offenen Karten gespielt, und das zieht jede Menge Probleme nach sich.

Was hat das für Konsequenzen?
Mehdorn: Öffentliche Großprojekte werden von der Bevölkerung kaum noch akzeptiert. Das ist falsch, denn viele Projekte sind sinnvoll und wir sollten den Mut haben, sie auch umzusetzen. Man muss sich allerdings fragen, ob die öffentliche Hand immer der geeignete Bauherr ist. Die Kontrolle von Baufirmen übernehmen besser diejenigen, die etwas davon verstehen.

Wenn die Politik nicht mehr in der Verantwortung steht, wer kontrolliert dann den Einsatz von Steuergeldern?
Mehdorn: In Deutschland gibt es einen besonders strengen Corporate Governance Kodex (Anm. der Redaktion: Regelwerk für korrektes Verhalten von Managern). Da sind Aufgaben und Zuständigkeiten von Aufsichtsratsmitgliedern, Geschäftsführung und Gesellschaftern klar geregelt.

Mischt sich die Politik zu sehr in Ihre Arbeit ein?
Mehdorn: Ich verteile hier keine Schönheitsnoten für die Aufsichtsräte des Flughafens. Aber klar ist doch, dass Politiker ihr Tun immer auch vor Parlamenten und Ausschüssen rechtfertigen müssen. Oft ist der Flughafen beispielsweise zwischen die politischen Fronten geraten, wenn etwa die Opposition - ohne Rücksicht auf die praktischen Folgen für den Flughafen - Politik gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden und Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit machte. Wenn Herr Wowereit geht, könnte man die Chance nutzen, den Aufsichtsrat zu entpolitisieren.

Auch Manager können ihren Unternehmen schaden, wie unlängst der Korruptionsverdacht beim Flughafen gezeigt hat.
Mehdorn: Gegen kriminelle Energie ist niemand gefeit. Das gibt es in jeder Organisation. Leider. Aus meiner Sicht hilft da nur eins: null Toleranz, Prävention, so gut es geht. Ich habe, nachdem wir den Tipp bekommen hatten, die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und eine Taskforce zur Aufklärung des Vorgangs eingesetzt.

In Berlin wehren sich zahlreiche Bürgerinitiativen gegen den Flughafenbau, es gibt Streit um den Schallschutz.
Mehdorn: Da hat die Flughafengesellschaft in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Das haben wir abgestellt. Aber der Streit zeigt auch, dass das Sankt-Florians-Prinzip in unserer Gesellschaft mittlerweile fest verankert ist. Alle wollen schnell und billig nach Mallorca fliegen, aber niemand möchte den Fluglärm.

Wussten Sie bei Ihrem Amtsantritt eigentlich, was Sie erwartet?
Mehdorn: Dass das nicht leicht werden würde, war mir klar. Aber ich muss immer wieder den Kopf schütteln, wie viel Chaos es gab. Der Flughafen hatte nach 2012 viel Know-how verloren. Viele gute Leute sind gegangen. Dieses Ausbluten konnten wir stoppen. Wir haben den technischen Sachverstand der Flughafengesellschaft Stück für Stück gestärkt. Das alles passiert vor den Augen der Öffentlichkeit. Aber ganz ehrlich: Ich bin schon etwas älter, ich kann auch öffentliche Kritik aushalten.

Zur Person

Mit 72 Jahren genießen andere ihren Ruhestand. Hartmut Mehdorn kann es sich, wie er sagt, "nicht vorstellen, auf dem Sofa herumzusitzen". Der Diplomingenieur hat bereits eine lange Karriere als Manager hinter sich: Mehdorn war Vorstandsvorsitzender der Heidelberger Druckmaschinen AG, 1999 stieg er als Chef bei der Deutschen Bahn AG ein, von dem Posten trat er 2009 nach einem Datenschutzskandal zurück.

Ab 2011 leitete Mehdorn die Fluggesellschaft Air Berlin, bevor er 2013 als Geschäftsführer der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH antrat. Mehdorn ist verheiratet und hat drei Kinder.

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