40 Jahre BAP Verdamp lang her - Wolfgang Niedecken im Interview

Köln · Der Kölner Musiker Wolfgang Niedecken feiert den Geburtstag seiner Band mit einem neuen Album und einer Tournee.

Die ersten Regungen liegen 40 Jahre zurück. "Während der Fußball-EM 76 verabreden sich diverse Amateurmusiker aus dem Köln-Bonner Raum zu einem Jour fixe im Wiegehäuschen des Herseler Kalksandstein-Werks, um miteinander zu jammen." Mit diesen Zeilen umschreibt Wolfgang Niedecken (64) die Geburtsstunde seiner Band BAP. Es ist der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte.

Die Kölschrocker füllen die größten Hallen des Landes, elf ihrer 23 Alben erreichen den ersten Platz der Charts. Den 40. Geburtstag seiner Band feiert Niedecken standesgemäß, nämlich mit viel Musik. Nächste Woche bringt BAP das Album "Lebenslänglich" heraus und trifft sich in Berlin im Heimathafen Neukölln zum Warmspielen für die anstehende Tournee. Am 22. Juli gastiert die Band auf dem Kunst!Rasen in Bonn. Mit Wolfgang Niedecken sprach Steffen Rüth.

Herr Niedecken, warum heißt BAP jetzt Niedeckens BAP?
Wolfgang Niedecken: Die Band hieß bei den ersten drei Alben so, somit ist die Umbenennung ein logischer Schritt. Ich bin das letzte verbliebene Ur-Mitglied. Die anderen Musiker spielen alle noch in weiteren Bands, auch wenn sie versuchen, BAP als ihre Hauptband anzusehen.

"Lebenslänglich" klingt eher akustisch und entspannt als laut und heftig. Was war der Plan?
Niedecken: Die gesamte Band hat die letzte Unplugged-Tour sehr genossen. Ich habe es immer gern, wenn sich die Sachen organisch entwickeln. Ich bin niemand, der gern Haken schlägt. Ich wollte, dass "Lebenslänglich" an "Zosamme alt" und unsere Tournee "Das Märchen vom gezogenen Stecker" anschließt. Und trotzdem auch wieder rockt.

Wird die Tour ein Mittelding zwischen Akustik und Rock?
Niedecken: Ja. Nach zehn Jahren wird das außerdem eine Tour sein, bei der wir viele große Hits spielen. Alle zehn Jahre machen wir das, und jetzt zum 40. Bandgeburtstag wollen wir den Leuten die Freude machen, dass sie viele Lieder mitsingen können.

In zehn Jahren sind Sie fast 75, so alt wie Ihr Idol Bob Dylan heute. Schielen Sie schon auf das goldene BAP-Jubiläum?
Niedecken: Schauen wir mal. Bei Dylan war ich gerade noch im Konzert, im Berliner Tempodrom. Der Meister hat den ganzen Abend schön aus dem Repertoire von Frank Sinatra gesungen. Der macht wirklich nur noch, worauf er Lust hat.

Sie haben zwei Bundesverdienstkreuze und den "Echo" für Ihr Lebenswerk bekommen. Ist das jetzt schon eine Art Zugabe, nach dem Motto "Ich muss niemandem mehr etwas beweisen"?
Niedecken: Das muss ich doch schon lange nicht mehr. Diese Preise haben mich sehr gefreut. Mit dem Bundesverdienstkreuz konnte ich wieder mehr Aufmerksamkeit auf unser Hilfsprogramm "Rebound" lenken, das frühere Kindersoldaten in Uganda und im Kongo unterstützt. Und den "Echo" habe ich im Arbeitszimmer stehen. Den finde ich schon geil. Aber wie Udo Lindenberg schon sagte: "Hinterm Lebenswerk geht's weiter".

Im Lied "Alles relativ" singen Sie: "Jetz jeht?e op die Sibbzich zo, su langsam weet?e alt. Et Alter ess nur relativ, singk?e em dunkle Wald". Entsprechen diese lakonischen Zeilen Ihrem Wesen?
Niedecken: Ja. Das ist typisch Kölsch. Dieses "Wat willste maache". Es ist eben so, wie es ist. Ich bin natürlich entspannt. Ich habe viel erlebt. Es wäre ja auch noch schöner, wenn ich nicht langsam mal gelassen würde.

Ist "Lebenslänglich" das Werk eines Mannes, der mit sich im Reinen ist?
Niedecken: Das würde ich unterschreiben. Wobei es alles andere als stressfrei anfing. Komischerweise hatte ich mir im September 2014 tatsächlich eingebildet, ich hätte eine Schreibblockade.

Was war passiert?
Niedecken: Ich hatte mein Soloalbum gemacht, wir waren ganz viel getourt. Und nach der Tour fiel mir auf, dass ich außer dem Titelsong meines Albums "Zosamme alt" seit vier Jahren keinen Song mehr geschrieben hatte. Ich dachte also: Fällt dir überhaupt noch was ein? Ich habe mich jeck gemacht, saß in der Türkei, machte mich schon morgens verrückt, nach der Devise: Heute wird dir ja wohl mal was einfallen. Natürlich fiel mir nichts ein. Diese Phase dauerte vier Wochen.

Und dann?
Niedecken: Schrieb ich an meinem vorletzten Tag in der Türkei den Großteil des Textes zu "Vollkasko-Desperado", die letzte Strophe machte ich im Flugzeug zurück nach Köln fertig. Danach ging es sehr schnell. Die Musiker lieferten jede Menge Ideen und Demos an, und so schrieben wir in vier Monaten 14 Songs.

In "Absurdistan" zählen Sie Dinge auf, die Sie in Rage bringen: Hungersnöte, Gotteskrieger, Korruption, Erderwärmung. Was meinen Sie konkret?
Niedecken: Wir haben uns lange weggeduckt, einfach weitergezappt, die Zustände woanders auf der Welt ignoriert. Jetzt können wir nicht mehr zappen, denn die Zustände sind nach Zentraleuropa gekommen.

Was meinen Sie? Den Terror? Die Flüchtlinge?
Niedecken: Alles zusammen. Der Krieg in Syrien interessiert uns überhaupt doch erst, seitdem die Flüchtlinge kommen. Und die Leute des IS-Regimes wissen genau, was sie machen. Sie haben uns den Terror quasi gleichzeitig zur Flüchtlingswelle geschickt. Jetzt müssen wir uns der Sache stellen. Mit all den unbequemen Wahrheiten.

Die da sind?
Niedecken: Wir müssen uns vor allem mal ehrlich machen, ob wir weiterhin mit Saudi-Arabien und Katar so verfahren wie bisher. Reiche Menschen in Katar und in Saudi-Arabien finanzieren seit langem den IS. Überhaupt sind die Interessenverwicklungen im Nahen Osten unfassbar. Und ich bin nun wirklich kein Verschwörungstheoretiker.

Wird Rechtsradikalität in Europa ein noch größeres Problem?
Niedecken: Ja. Wenn ich zum Beispiel sehe, wer da in Polen jetzt an der Macht ist, da halte ich wirklich die Luft an. Wenn ich sehe, wie die osteuropäischen Länder Europa nur als Zugewinn-, nicht aber als Solidargemeinschaft sehen, dann stehe ich wirklich auf dem Tisch.

Sie singen "Dä Herrjott meint et joot met mir". Glauben Sie eigentlich an Gott?
Niedecken: Ich bin so was wie restkatholisch. Ich glaube, dass es ein genetisches Gedächtnis gibt. So erkläre ich mir, dass ich bestimmte katholische Grundhaltungen - meine Familie väterlicherseits bestand aus katholischen Winzern vom Rhein - so verinnerlicht habe, dass ich da nicht gegen ankomme.

Sie haben sich der allgegenwärtigen Köln-Folklore immer ferngehalten. Jetzt singen Sie mit "Dausende vun Liebesleeder" doch ein Liebeslied an ihre Heimatstadt. Wie kommts?
Niedecken: Es stimmt, diese kölschbesoffenen Lieder waren nie mein Ding. Und wenn die Karnevalszeit naht, gehen mir die Nackenhaare hoch. Aber am vergangenen Rosenmontag spielte mir meine jüngste Tochter Jojo ein Lied vor: "Et jitt kei? Wort" von der jungen Kölsch-Rock-Band Cat Ballou. Ich war tatsächlich gerührt - und habe festgestellt, dass ich in den vergangenen Jahren diesbezüglich deutlich gelassener geworden bin.

Zumal als FC-Fan.
Niedecken: Ja, ich gehe zu jedem Heimspiel, und diese ganzen kölschen Gesänge, die Anbetung der Heimatstadt, das hat schon was. Ich dachte also, wer bin ich, dass ich da etwas Falsches drin sehe, wenn die Leute ihre Heimatstadt über alles lieben?

Ihre Antwort?
Niedecken: Vielleicht werde ich langsam altersmilde. Jedenfalls: Köln ist objektiv gesehen nicht sehr schön, aber ich kann sehr gut nachempfinden, dass unverhältnismäßig viele Menschen in diese Stadt verliebt sind.

Und wie ist Ihre Gefühlslage nach den Vorkommnissen in der Silvesternacht vor dem Hauptbahnhof?
Niedecken: Ich bin entsetzt. Die Geschichte muss ergebnisoffen aufgeklärt und entsprechend geahndet werden. Traurigerweise ist das, was sich da ereignet hat, Wasser auf die Mühlen der Rechten. Es ist bitter, dass so was ausgerechnet in Köln passiert, wo wir doch so stolz auf unser gewachsenes Miteinander sind. Da darf nichts unter den Teppich gekehrt und nichts beschönigt werden. Ich mahne jedenfalls zur Besonnenheit.

Zur Person

Geboren am 30. März 1951 in Köln. Seine Schulzeit verbringt er von 1962 bis 1970 im Internat in Rheinbach, wo er in den Bands The Convicts und The Troop aktiv ist.

1976 gründet er BAP, 1979 erscheint das erste Album "Wolfgang Niedecken's BAP rockt andere kölsche Leeder", 1980 folgt "Affjetaut". Mit dem Album "BAP für usszeschnigge" und dem Hit "Verdamp lang her" schafft die Band den Durchbruch.

1992 ist Niedecken Mitinitiator des Kölner Konzerts "Arsch huh, Zäng ussenander" gegen Rassismus. Seit 2004 ist er Sonderbotschafter der Hilfsaktion Gemeinsam für Afrika. 2013 wird er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

Konzerttipp

BAP live, Bonn, Kunst!Rasen 22. Juli, 18.30 Uhr

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