Zum 70. Geburtstag von Gerd Müller Sepp Maier: "Um die Häuser ziehen, das war nix für Gerd"

BONN · Am kommenden Dienstag wird Gerd Müller 70 Jahre alt. Der erfolgreichste deutsche Stürmer aller (bisherigen) Zeiten kann keine Interviews mehr geben, er leidet an Alzheimer. Ohnehin war der "Bomber der Nation" nie ein Mann der Worte. Er ließ Tore sprechen. Über eine große Karriere und über den Menschen Gerd Müller sprach GA-Mitarbeiter Florian Kinast mit Sepp Maier, einem Freund und Weggefährten.

Herr Maier, wenn Sie an Ihren alten Freund Gerd Müller denken, welches große Spiel kommt Ihnen als erstes in den Sinn? WM 1970, das Viertelfinale gegen England? WM 1974, das Endspiel gegen Holland? 1976, das Europacup-Halbfinale gegen Real Madrid?
Sepp Maier: Shamrock Rovers, November 1966, Achtelfinale im Europapokal der Pokalsieger, Rückspiel im Grünwalder Stadion.

Warum?
Maier: Vergess ich nie. Auswärts hatten wir 1:1 gespielt, daheim stand's zehn Minuten vor Schluss 2:2. Wir waren kurz vor dem Aus, plötzlich ein Schuss der Iren, ich war schon geschlagen. Aber der Gerd kratzte den Ball von der Torlinie, lief nach vorne und schoss im Gegenzug das 3:2. Ein typischer Gerd. Ohne die Aktion hätten wir im Mai 1967 auch nicht unseren ersten Europapokal gewonnen.

Am Dienstag wird Müller 70, wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?
Maier: 2014, in der Erlebniswelt des FC Bayern, bei einer Ausstellungseröffnung. Da hab' ich schon gemerkt, dass es ihm schlecht geht. Im Umfeld des FC Bayern haben ja alle gewusst, wie es um ihn steht, ihr Journalisten ja auch. Ich hab's sehr fair gefunden, dass da alle dichtgehalten haben und keiner was geschrieben hat. Jetzt haben die Bayern aber wohl so viele Anfragen zu seinem Siebzigsten bekommen, da mussten sie an die Öffentlichkeit gehen.

Sie kennen ihn seit mehr als 50 Jahren, wie war es denn damals, als er 1964 zu den Bayern kam?
Maier: Lustig war's. Wir waren damals ja noch zweitklassig, irgendwann haben wir gehört, dass es da in Nördlingen einen geben soll, der wie kein Zweiter trifft. Also ist unser Geschäftsführer Walter Fembeck zum Gerd Müller und seiner Mutter nach Nördlingen. Drei Stunden später stand übrigens Ludwig Maierböck von den Löwen bei der Mama vor der Tür. Aber da hatte sich der Gerd schon für die Bayern entschieden. Da waren die Sechziger einfach mal wieder zu langsam.

Wie war Ihr erster Eindruck von ihm?
Maier: Mei, der Gerd war ein richtiger kleiner Stumpen. Nicht schnell, aber kräftig. Wendig. Und ein Irrsinnsschuss. Aus dem Stand hat der so draufhauen können wie andere nach zehn Metern Anlauf. Er ist aber nicht so aufgefallen, dass er unbedingt in die erste Mannschaft hätte müssen. Unser Trainer, der Tschick, hat ja auch geschimpft, zu unbeweglich, zu langsam, kleines dickes Müller eben. Aber dann hat der Präsident Neudecker ein Machtwort gesprochen und angeordnet: "Herr Cajkovski, Sie müssen den Müller aufstellen, wofür haben wir ihn denn geholt." Und dann hat der Gerd auch richtig losgelegt.

Dank der Tore von ihm und Sturmpartner Rainer Ohlhauser stiegen Sie 1965 in die Bundesliga auf, der Beginn der ersten großen Bayern-Ära.
Maier: Genau. Ohne ihn gäb's an der Säbener Straße heute immer noch die alte Holzbaracke. Der Gerd war ein Phänomen, den hast du nicht bremsen können. Der wollte nur Fußball spielen, nix anderes. Wenn um 10 Uhr Training war, war er als Erster um 9.15 Uhr schon da. Und ist danach aber auch als Erster wieder gegangen, zu seiner Frau. "I muass hoim zur Uschi", hat er in seinem Schwäbisch oft gesagt, da hat er dann immer einen Leberkäs und seinen geliebten Kartoffelsalat gekriegt.

Zusammen privat ausgegangen sind Sie nie?
Maier: Das war nix für den Gerd. Auch bei unseren Faschingsausflügen war er nie dabei, die waren legendär. Da sind wir Faschingsdienstag nach dem Training zum Feiern und Durchmachen in die Stadt. Und am Aschermittwoch aus der Stadt direkt zurück ins Training, das waren Zeiten. Oder wenn wir abends mal alle miteinander in die Disco sind, der Gerd ist immer daheim geblieben. Was er aber gern mit uns gemacht hat, war Karten spielen. Schafkopfen.

War er gut?
Maier: Der beste Schafkopfer überhaupt, und zwar mit Abstand. Ich bin irgendwann ausgestiegen, weil's mir zu teuer geworden ist. Der Gerd hat mir am Freitagabend schon immer die 200 Mark abgezockt, die ich am nächsten Tag in der Bundesliga als Siegprämie verdient hab'. Er hat ein Mordsgedächtnis gehabt, sich jede Karte gemerkt. Er hat meistens mit dem Robert Schwan, dem Bernd Dürnberger und dem Bulle Roth gespielt. Die haben aber auch keine Chance gehabt. Der Gerd hat immer genau gewusst, wer noch den Schell'n-Siebener oder den Gras-König hat. Vielleicht war's auch so eine Intuition, so ein Riecher, wie er ihn ihm Fußball gehabt hat.

[kein Linktext vorhanden]1974, sein Tor zum WM-Titel: Der Höhepunkt seiner Karriere, aber auch ein dramatischer Wendepunkt?
Maier: Absolut. Dass er da mit der Nationalmannschaft aufgehört hat, das war ein großer Fehler. Er war 28, viel zu früh, mit 28 hörst doch noch nicht auf. Der Uwe Seeler war bei der WM 1970 auch 33 und super drauf. Ich hab' später mit dem Gerd mal gesprochen, er hat's eingesehen, dass der Rücktritt Mist war. Für mich waren die Länderspiele immer Anreiz, eine Abwechslung. Du siehst andere Leute, kommst mit neuem Elan zum Verein zurück. Wäre er geblieben, dann wären wir 1978 in Argentinien nochmal Weltmeister geworden.

Gerd Müller wird 70 Jahre alt
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Dann hätten die Österreicher nie ihr Cordoba erlebt.
Maier: Klar. Aber so hat der Gerd dann immer mehr abgebaut. 1979 kam's zum Bruch mit den Bayern. Wir hatten damals den Pal Csernai, als Trainer gut, aber menschlich unmöglich. In Frankfurt hat er den Gerd acht Minuten vor Schluss ausgewechselt, das war ihm zuvor noch nie passiert. Für ihn war das eine fürchterliche Demütigung. Also ist er nach Florida, zu den Fort Lauderdale Strikers. Aber da hat der Gerd nicht hingehört.

Haben Sie gemerkt, dass er nach seiner Rückkehr und dem Karriereende große Alkoholprobleme hatte?
Maier: Ja, das ist immer mehr geworden. Der Gerd hat einfach keine Aufgabe mehr gehabt. Schauen Sie, als ich mein Tennis-Center in Anzing gebaut hab, hab ich auch dauernd mit Bauingenieuren und Gartenarchitekten reden müssen, überlegen, wie lege ich die 13 Außenplätze an, die vier Hallen. Da hatte ich eine Beschäftigung. Aber der Gerd hatte ja nix. Außer dass er jeden Tag selbst zum Tennisspielen gegangen ist.

Konnte er das so gut wie schafkopfen?
Maier: Nicht ganz. Aber er hat jeden Ball erlaufen. Sein großes Glück war schließlich, dass der Franz Beckenbauer und der Uli Hoeneß ihn herausgeholt haben und ihm als Amateur-Trainer bei den Bayern wieder einen Sinn im Leben gegeben haben. Bis ich 2008 bei den Bayern als Torwarttrainer aufgehört habe, haben wir uns ständig gesehen, danach noch sporadisch. Dass es ihn mit Alzheimer erwischt hat, ist so fürchterlich und traurig, aber davor ist eben keiner gefeit.

Was wünschen Sie ihm denn zum Geburtstag?
Maier: Normalerweise würde ich ihm Gesundheit wünschen. Aber das geht ja leider nicht mehr. Dass er mich erkennt, wenn ich ihn mal in seinem Pflegeheim besuche. Und dass er ganz friedlich und in Ruhe leben kann.

Zur Person

Sepp Maier und Gerd Müller prägten - gemeinsam mit Franz Beckenbauer - die erste große Ära des FC Bayern. Maier als Torwart, Müller als Torjäger. Müller kam 1964 aus Nördlingen nach München und erzielte für die Bayern 398 Tore in 453 Bundesligaspielen. In der Nationalelf traf er 68 Mal in 62 Spielen. Beides wird womöglich ewig unerreicht bleiben.

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