Interview mit Alexander Graf Lambsdorff "Putin findet auch in der EU den einen oder anderen Fan"

Der Krieg in der Ukraine, die TTIP-Verhandlungen, die Griechenland-Krise: der Bonner FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff ist als Außen- und Sicherheitsexperte tief in den Themen drin. Mit Lambsdorff sprachen Ulrich Lüke und Helge Matthiesen.

 Alexander Graf Lambsdorff ist seit 2004 für die FDP Mitglied des Europäischen Parlaments. Lambsdorff, 1966 in Köln geboren, machte sein Abitur in Bad Godesberg, studierte in Bonn und Washington und wurde Diplomat. Im vergangenen Jahr war er FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl. Der Neffe des früheren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Alexander Graf Lambsdorff ist seit 2004 für die FDP Mitglied des Europäischen Parlaments. Lambsdorff, 1966 in Köln geboren, machte sein Abitur in Bad Godesberg, studierte in Bonn und Washington und wurde Diplomat. Im vergangenen Jahr war er FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl. Der Neffe des früheren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Foto: Roland Kohls

Graf Lambsdorff, gefährdet Wladimir Putin Europa?
Alexander Graf Lambsdorff: Wenn Europa nicht gut aufpasst, dann besteht diese Möglichkeit.

Wieso?
Lambsdorff: Wir sehen ja alle, dass Russland jetzt gerade die Friedens- und Stabilitätsordnung in Europa gefährdet. Eine Ordnung, für die gerade Liberale sehr heftig gestritten haben. In diesem Jahr jährt sich zum 40. Mal die Gründung der OSZE, die maßgeblich das Werk von Hans-Dietrich Genscher ist. Zudem gibt es so etwas wie einen Wettbewerb der Weltanschauungen, wo auf der einen Seite die offene, tolerante Gesellschaft Westeuropas steht, auf der anderen aber eine autoritäre, nationalistische und illiberale. Dieser Entwurf, für den Putin steht, findet leider auch in der EU den einen oder anderen Fan.

Sie denken an Ungarn?
Lambsdorff: Ja, zum Beispiel. Aber auch Marine Le Pen in Frankreich lässt sich aus Russland einen Neun-Millionen-Euro-Kredit geben. Sie will die EU von innen sprengen, das sagt sie ganz offen. Wir wissen, dass Moskau Verbindungen unterhält zu rechtsnationalen Bewegungen im Westen. Wir sollten also auf beides achten, nämlich dass wir unsere Gesellschaftsordnung nach innen und unsere Friedensordnung nach außen verteidigen.

Sie machen sich ernsthaft Sorgen um den Zusammenhalt Europas...
Lambsdorff: Ich bin Historiker und weiß, dass das friedliche und offene Europa, das wir heute kennen, keine Selbstverständlichkeit, schon gar kein Selbstläufer ist. Deshalb warne ich davor, solche Sachen auf die leichte Schulter zu nehmen. Ungarn ist nicht Weißrussland, aber Teile der inneren Ordnung Ungarns widersprechen eindeutig europäischen Werten. Anderes Beispiel: Die neue griechische Regierung absolviert ihren ersten Auslandsbesuch ausgerechnet in Moskau. Noch eins: Die Republik Zypern schließt mit Russland ein Abkommen über Seestützpunkte. Da müssen wir sehr genau hinsehen. Das alles wäre natürlich dann kein Problem, wenn Russland auf den Boden des Völkerrechts und damit in das gemeinsame Haus Europa zurückkehrte, von dem Gorbatschow einst gesprochen hat. Das ist unser Wunsch und unser Ziel.

Ist Russland das Problem oder Putin?
Lambsdorff: Russland ist mehr als Putin. Nichts zeigt das überzeugender als der Trauermarsch der Zehntausenden für Boris Nemzow. Zehntausende, die für ein liberales, offenes, freies Russland demonstriert haben. Ich bin deshalb hoffnungsvoll, dass es gelingen kann, in Russland wieder eine positive Entwicklung in Gang zu setzen. Dass die autoritär-nationalistische Regierungsform Putins ein Problem ist, steht außer Frage.

Putin kontrolliert die Medien...
Lambsdorff: Ja. Durch die vollständige Kontrolle gerade der elektronischen Medien ist sein System sehr stabil. Nemzow hat zu Recht gesagt, er könne sagen und drucken, was er wolle, aber er werde nie in einen Fernsehsender gelassen. In einer Livedebatte hätte Nemzow Putin binnen einer Stunde argumentativ zerlegt.

Kann der Westen Putin durch Aufrüstung in die Schranken weisen?
Lambsdorff: Die FDP ist gegen Waffenlieferungen an Kiew, weil sie die Illusion wecken würden, dass der Konflikt in der Ostukraine militärisch lösbar sei. Das ist er nicht. Wir können als Westen aus großer Entfernung niemals so viel liefern, wie Russland als Nachschub unmittelbar über die Grenze schieben kann. Das wäre also ein Beitrag zur Eskalation, nicht aber zur Lösung.

Sanktionen?
Lambsdorff: Wir müssen daran arbeiten, die europäische Einigkeit in der Sanktionsfrage aufrechtzuerhalten. Nach dem, was ich eben gesagt habe, ist das schon eine Herausforderung für sich. Ich bin positiv überrascht, dass das bisher gelungen ist. Und das Abkommen von Minsk muss umgesetzt werden, aber als Teil einer größeren Perspektive, nämlich, dass es gelingt, die staatliche Einheit der Ukraine zu erhalten. Und dass nicht noch weitere Teile des Landes destabilisiert werden.

Der Bündnisfall für die Nato kann dennoch eintreten, nicht in der Ukraine, aber im Baltikum...
Lambsdorff: Der Bündnisfall wäre ganz klar ausgelöst, wenn Russland im Baltikum so wie in der Ukraine tätig werden würde. Das wäre in der Tat eine ganz schreckliche Entwicklung, die wir uns alle nicht wünschen können.

Halten Sie die für denkbar?
Lambsdorff: Ich glaube nicht, dass Putins Regierung in der Weise gegen Nato-Staaten vorgehen würde. Er kann daran kein Interesse haben.

Wünschen Sie sich eine stärkere Einflussnahme der USA?
Lambsdorff: Auf der Sicherheitskonferenz in München habe ich gehört, wie US-Abgeordnete auf Waffenlieferungen gedrängt haben. Ich glaube aber, die europäische Idee ist vernünftiger, auf Deeskalation zu setzen, statt die Eskalation voranzutreiben. In der Nato sind und bleiben die Amerikaner die sicherheitspolitische Rückversicherung der Europäer. Aber aktuell ist die europäische Führungsrolle - durch Deutschland und Frankreich - nicht zu beanstanden. Ich finde, und das sage ich ausdrücklich als Oppositionspolitiker, dass Merkel und Steinmeier richtig liegen, wenn sie immer und immer wieder versuchen, Russland zur Mäßigung anzuhalten.

Bleiben wir bei den USA und wechseln das Thema. Nennen Sie bitte ganz kurz die vier größten Irrtümer über das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen TTIP...
Lambsdorff: Zunächst: Deutschland profitiert wie kein zweites Land vom Freihandel. Sowohl in der EU als auch im Welthandel. Wir wären niemals Exportweltmeister geworden, wenn es nicht offene Märkte und freie Handelswege gäbe. Deshalb sehe ich in TTIP große Chancen und die Kritik daran ist in der Tat voller Irrtümer.

Als da wären?
Lambsdorff: Zum Beispiel, dass die Parlamente durch Investorenschutzregeln entmündigt würden. Das stimmt nicht. Investorenschutzgerichte entscheiden über Schadenersatz, aber niemals über Gesetze. Wir haben diese Gremien seit mehr als 40 Jahren. Noch nie hat das Entscheidungen des Europaparlaments oder des Bundestags beeinflusst. Man kann sicher am System des Investorenschutzes noch manches verbessern, etwa durch Bildung einer Berufungsinstanz, ihn aber gänzlich abzulehnen, ist unsinnig. Gerade deutsche Firmen mit ihren zahlreichen Auslandsinvestitionen brauchen ihn.

Der zweite große Irrtum...
Lambsdorff: ...ist, dass die kommunale Daseinsvorsorge - also etwa Trinkwasser, Schulen, Krankenhäuser - in irgendeiner Weise von TTIP betroffen sein wird. Dieser Bereich ist komplett ausgenommen, wird überhaupt nicht verhandelt.

Der Buchhändler wird in seiner Existenz vernichtet?
Lambsdorff: Für den Buchhändler ändert sich nichts, die Buchpreisbindung bleibt bestehen. Man kann von ihr halten, was man will, aber sie wird durch TTIP nicht berührt. Alle Regeln in TTIP sollen nur eines sicherstellen: Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung. Solange in Deutschland alle der Buchpreisbindung unterliegen, wird aber niemand diskriminiert. Außerdem verdient niemand soviel leichtes Geld mit der Buchpreisbindung wie Amazon, wohlgemerkt heute schon. Warum sollten die USA das ändern wollen?

Der vierte große Irrtum....
Lambsdorff: ...ist die ziemlich arrogante Annahme, dass die amerikanischen Standards alle so fürchterlich schlecht sind. Im globalen Vergleich sind die Standards in Europa und den USA im Umwelt- und Verbraucherschutz die höchsten, die es überhaupt gibt. Unser Interesse muss sein, diese Standards global verbindlich zu machen, dann sind wir die Gestaltungskraft im Welthandel, nicht China oder Indien. Deren Standards stehen auf einer ganz anderen Stufe...

Ihnen ist also vor dem US-Chlorhühnchen nicht bange?
Lambsdorff: Wie viele Urlauber aus Deutschland fahren jedes Jahr in die USA und kommen gesund und munter zurück, eben weil die Standards dort hoch sind? Ich selbst habe sechs Jahre dort gelebt, bestimmt eine ganze Menge Chlorhühnchen gegessen und mir geht's prima. Da werden völlig unbegründet viele Ängste geschürt. Im Übrigen: Das Chlorhühnchen bleibt sowieso in Amerika. Es kommt gar nicht zu uns rüber.

Zurück nach Europa. Ist das Thema Griechenland im positiven Sinne durch?
Lambsdorff: Schön wär's! Nein, Griechenland ist nicht durch. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch dies: Wenn es eine Regierung in Athen gibt, die das System der Korruption und der Oligarchie durchbrechen kann, dann diese.

Athen hat jetzt vier Monate Aufschub bekommen...
Lambsdorff: Ja, obwohl wir das kritisch sehen. Der Internationale Währungsfonds hat zu Recht festgestellt, dass die griechischen Reformvorschläge sehr unkonkret und unverbindlich sind. Als Freie Demokraten sagen wir ja zur Solidarität, wir wollen, dass Griechenland auf die Beine kommt und in der Eurozone bleiben kann. Aber wir verlangen im Gegenzug Solidität, also genau das, was Athen vermissen lässt.

Hält Europa diese Belastung aus?
Lambsdorff: Die Schwächung Europas in der Finanzpolitik liegt im Kern darin, dass die Kriterien des Stabilitätspaktes immer wieder aufgeweicht werden, wodurch der Anreiz für Reformpolitik abnimmt. Gerade Länder, die Reformen durchgesetzt haben - wir, die Spanier, die Portugiesen -, stehen ordentlich da, während in Frankreich oder Italien Reformen verschleppt werden. Dort sind Staatsschulden und Arbeitslosigkeit hartnäckig hoch. Der Druck aus Europa sorgt dafür, dass Länder wieder auf die Beine kommen.

Nochmals: Sprengt die griechische Krise den Euro?
Lambsdorff: Nein. Wir sind durch die Errichtung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus nicht mehr in derselben Lage wie 2010, ein Grexit wäre kein unkalkulierbares Risiko mehr. Damit sind wir auch nicht mehr erpressbar. Wenn es gar nicht anders geht, muss Griechenland den Euro verlassen - aber das ist dann seine eigene Entscheidung. Und Europa kann mit einem griechischen Patienten sicher noch eine Weile zurechtkommen. Das zeigen die Zahlen: Wir reden von einem griechischen Gesamtschuldenstand von 320 Milliarden Euro gemessen an einer EU-Wirtschaftsleistung, die jedes Jahr circa 15 000 Milliarden Euro beträgt. So oder so kann Europa die griechische Frage lösen.

Letzte Frage, nicht ganz ernst gemeint: Griechenland bleibt drin und die FDP kommt wieder rein?
Lambsdorff: Was ist daran nicht ernst gemeint?

Alexander Graf Lambsdorff ist seit 2004 für die FDP Mitglied desEuropäischen Parlaments. Lambsdorff, 1966 in Köln geboren, machtesein Abitur in Bad Godesberg, studierte in Bonn und Washington undwurde Diplomat. Im vergangenen Jahr war er FDP-Spitzenkandidat fürdie Europawahl. Der Neffe des früheren Wirtschaftsministers OttoGraf Lambsdorff ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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