Guntram Schneider im Interview NRW-Arbeitsminister: "Sanktionen ja - aber nicht bei Lappalien"

NRW-Arbeits- und Sozialminister Guntram Schneider plädiert für eine Nachbesserung der Agenda 2010. Im Interview spricht er außerdem über Hart IV, die Arbeitslosigkeit in NRW und Zuwanderung.

 Guntram Schneider ist seit Juli 2010 Minister für Arbeit, Integration und Soziales in NRW. Zuvor hatte der Sozialdemokrat und gelernte Werkzeugmacher Karriere bei der Gewerkschaft gemacht. Zuletzt war er DGB-Landeschef in Nordrhein-Westfalen.

Guntram Schneider ist seit Juli 2010 Minister für Arbeit, Integration und Soziales in NRW. Zuvor hatte der Sozialdemokrat und gelernte Werkzeugmacher Karriere bei der Gewerkschaft gemacht. Zuletzt war er DGB-Landeschef in Nordrhein-Westfalen.

Foto: Barbara Frommann

Sollten im Falle eines SPD-Sieges bei der Bundestagswahl Teile der Agenda 2010 rückgängig gemacht werden?
Schneider: Bei den Arbeitsmarktreformen muss sicher nachgebessert werden. Dies bezieht sich etwa auf die Zumutbarkeitsregelungen oder Sanktionen bei geringfügigen Verstößen. Die Grundsätze der Reform haben sich bewährt: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war und ist richtig. Und auch das Prinzip vom Fördern und Fordern ist richtig.

Jobcenter üben erheblichen Druck auf Hartz IV-Bezieher aus, eine Stelle anzunehmen...
Schneider: Jobcenter müssen sich im Rahmen der Zumutbarkeitsregelungen, die durchaus bedenkenswert sind, bewegen. Gesetze und Regeln, die nicht sanktioniert werden können, sind weitgehend wertlos. Deshalb bin ich grundsätzlich für Sanktionen. Wenn aber nur Termine bei den Jobcentern überschritten werden, sollte dies kein Sanktionsgegenstand sein. Also: Sanktionen ja bei harten Verstößen - aber nicht bei Lappalien.

Sie schlagen einen "Sozialen Arbeitsmarkt" vor, der vor allem auf Langzeitarbeitslose zielt. Was genau meinen Sie damit?
Schneider: Auch wenn wir ein Wachstum von fünf Prozent und mehr erzielen würden, gäbe es noch Langzeitarbeitslose, die den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, zum Beispiel Geringqualifizierte. In Modellprojekten öffentlich geförderter Beschäftigung soll ausgelotet werden, inwieweit benachteiligte Langzeitarbeitslose primär in Non-Profit-Unternehmen und -Einrichtungen beschäftigt werden können.

Die Auftragsbücher der NRW-Firmen sind nicht mehr so prall gefüllt wie im Vorjahr. Erwarten sie im kommenden Jahr einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen?
Schneider: Wenn für 2013 ein Wirtschaftswachstum von etwa einem Prozent prognostiziert wird, werden aller Voraussicht nach die Produktivitätssteigerungen höher liegen. Sollten wir also das derzeitige Niveau der Beschäftigung halten, wäre dies schon ein Fortschritt. Ich rechne mit einem Anstieg der Kurzarbeit. Um zu verhindern, dass aus Kurzarbeit Arbeitsplatzverluste erwachsen, muss das krisenerprobte Instrumentarium der Kurzarbeit wieder einsetzbar sein.

Die Leih- und Zeitarbeit in NRW nimmt zu. Sie planen im Frühjahr eine Bundesratsinitiative für gesetzliche Eingriffe. Was fordern Sie?
Schneider: Leiharbeit kann ein wirkungsvolles Instrument sein. Wenn durch Leiharbeit aber systematisch die Kernbelegschaften reduziert werden und prekäre Beschäftigung zunimmt, liegt Missbrauch vor. Die Neuregulierung der Leiharbeit muss den Grundsatz ?Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit an gleichem Ort' haben. Und wir fordern die Wiedereinführung des Synchronisationsverbotes. Verleihfirmen sollen keine Arbeitsverträge mehr abschließen können, die automatisch enden, wenn eine Verleihung nicht mehr möglich ist. Heute verlieren Leiharbeitnehmer automatisch ihren Arbeitsplatz - auch ohne Kündigung und ohne die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage.

Wir brauchen mehr gesteuerte Zuwanderung, also die Anwerbung gut ausgebildeter Fachkräfte. Wird da nur geredet statt gehandelt?
Schneider: Tatsache ist, dass wir gerade in den letzten Monaten zunehmende Zuwanderung qualifizierter junger Arbeitskräfte etwa aus den europäischen Krisenländern, aber auch aus Osteuropa feststellen. Wir müssen aber Hürden abbauen. Dazu gehört auch die für 2013 geplante Verabschiedung des Berufs-Anerkennungsgesetzes im NRW-Landtag. Damit sollen Menschen aus der europäischen Union Diplome und berufliche Abschlüsse anerkennen lassen können. Wenn dies nicht möglich ist, muss es Teilanerkennungen bzw. Nachqualifizierungen geben. Im Übrigen sollten wir nicht so tun, als ob die befürchtete Fachkräftelücke ausschließlich über Zuwanderung zu verhindern ist.

NRW verzeichnet in den letzten Monaten einen sprunghaften Anstieg an Asylbewerbern und auch Einwanderung aus Südosteuropa. Viele Menschen sind Roma, deren Integration schwierig ist. Wie lässt sich das Problem lösen?
Schneider: Die Kommunen sind mit der Aufgabenstellung auch finanziell überfordert. Eine interministerielle Arbeitsgruppe in Düsseldorf hat die Arbeit aufgenommen mit dem Ziel, eine minimale Gesundheitsversorgung sicherzustellen und die Schulpflicht für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten. Der Schlüssel zur Bewältigung der Fragen liegt in den Heimatländern der Menschen.

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