Telekom-Vorstandsmitglied Niek Jan van Damme im GA-Interview "Jede Beschwerde ist eine zu viel"

Niek Jan van Damme ist als Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom für den Heimatmarkt des Konzerns zuständig. Über die Herausforderungen der Netzmodernisierung und die Unterschiede zwischen deutschen und niederländischen Managern sprach mit ihm Claudia Mahnke.

 Treffen sich regelmäßig: Andreas Lischka, Strategiechef der Telekom Deutschland (links), und Niek Jan van Damme beraten über Vereinfachung der Kunden-Apps.

Treffen sich regelmäßig: Andreas Lischka, Strategiechef der Telekom Deutschland (links), und Niek Jan van Damme beraten über Vereinfachung der Kunden-Apps.

Foto: Barbara Frommann

Was beschäftigt Sie derzeit in der praktischen Arbeit am meisten?

Niek Jan van Damme: Wir haben durch den großen Erfolg von MagentaEins sehr viel zu tun: Das Paketangebot mit Internet, Festnetz, Mobilfunk und wahlweise auch TV kommt sehr gut an. 200 Mitarbeiter sind allein mit den Buchungs- und Umstellungsprozessen beschäftigt. Daneben ist natürlich die Netzmodernisierung eine Riesen-Herausforderung. Im Moment stellen wir wöchentlich 60 000 bis 70 000 Kunden auf IP-basierte Anschlüsse um. Die Masse macht es kompliziert, wir haben allerdings mittlerweile schon über fünf Millionen Kunden auf IP-basierte Anschlüsse umgestellt.

Warum läuft die Umstellung des Netzes auf IP-Technik bei etlichen Kunden nicht reibungslos?

Van Damme: 99,8 Prozent der Umstellungen laufen glatt. In den restlichen Fällen treten sehr unterschiedliche Probleme mit unterschiedlichen Fehlerursachen auf. Mal ist der Router oder der Stecker kaputt, mal hat der Techniker einen Fehler gemacht, mal hat es einen Bearbeitungsfehler gegeben und mal kommt alles zusammen. Vor kurzem habe ich von einem Kunden erfahren, der 60 Mal versucht hat, uns zu erreichen, nach vier Telefonaten war eigentlich alles klar. Aber nach einem Tag funktionierte das Telefon wieder nicht. Diese Geschichten sind es, die mich sehr ärgern.

Kunden klagen, dass es zu lange dauert, bis Probleme behoben sind.

Van Damme: Jede Beschwerde ist eine zu viel und deshalb gehen wir jedem Fall nach. Wenn sie auf das Telefon angewiesen sind, dann ist jede Minute, die es nicht funktioniert, eine Minute zu viel. Wir hatten Ende vergangenen Jahres leider einen Rückstau beim technischen Service bedingt auch durch das schlechte Wetter, das manchen Leitungen zugesetzt hat. Das ist mittlerweile aber weitestgehend erledigt. Es gibt jetzt außerdem mehr Techniker im Außendienst.

Und jetzt ist auch die telefonische Erreichbarkeit bei Problemen besser?

Van Damme: Im Mobilfunk sind wir gut erreichbar. 90 Prozent der Anrufer erreichen nach kurzer Zeit einen Kundenberater, häufig bereits innerhalb von 20 Sekunden. Im Festnetz sind wir leider erst bei 80 Prozent, aber auch diesen Wert werden wir schrittweise weiter verbessern, versprochen.

Kunden fühlen sich unter Druck gesetzt, wenn sie telefonisch durch Call-Center vor einer baldigen Abschaltung ihres Anschlusses gewarnt werden. Versuchen Sie, so etwas zu verhindern?

Van Damme: Wir wollen keinen unfairen Druck aufbauen und setzen auf Transparenz. Unsere Servicemitarbeiter werden entsprechend sensibilisiert. Aber es ist natürlich wahr, dass wir unser altes Netz abschalten, daran führt kein Weg mehr vorbei und daran will ich auch keinen Zweifel aufkommen lassen. Deshalb schreiben wir unsere Kunden viereinhalb Monate vorher an, dass ihr Anschluss gekündigt wird, wenn er nicht auf IP umgestellt wird. Und wenn sich ein Kunde beispielsweise wegen eines neuen Routers an uns wendet, dann nutzen wir die Gelegenheit, um ihn darauf hinzuweisen, dass in einiger Zeit sein Anschluss von einer Umstellung betroffen ist.

Wandern deshalb Kunden zur Konkurrenz ab?

Van Damme: Natürlich haben wir weiterhin einen Rückgang bei den Festnetzanschlüssen, aber das kommt durch den politisch gewollten Wettbewerb. Von Abwanderung kann aber keine Rede sein, die meisten Kunden verstehen sehr genau, worum es geht und kennen die Notwendigkeit eines Technikwechsels aus dem Privatleben. Oder kennen Sie heute noch jemanden, der sich einen Röhrenfernseher kaufen würde?

Für den Frühsommer plant die Bundesnetzagentur eine Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen...

Van Damme: ...was uns freut und gut für Deutschland ist, weil es mehr Bandbreite für den Ausbau im ländlichen Raum gibt. Die Entwicklung ist rasant: Ich lebe im Rhein-Sieg-Kreis und habe über LTE eine Übertragungsgeschwindigkeit von 80 bis 85 Megabit. Das ist doch super. Vor fünf Jahren hätten wir nicht gedacht, dass wir mit Mobilfunk derartige Geschwindigkeiten erreichen. In Städten sind wir teilweise schon bei 300 Megabit.

Gehen Sie davon aus, dass bei der Versteigerung wieder Rekordsummen wie im Jahr 2000 gezahlt werden müssen?

Van Damme: Unsere Mitbewerber hören natürlich aufmerksam zu. Deshalb kann ich dazu keine konkreten Angaben machen. Letztlich müssen wir mit den neuen Frequenzen Geld verdienen. Wir werden genau abwägen, wie viel wir ausgeben.

Wie beurteilen Sie die Rückendeckung durch den Bund in Sachen Breitbandversorgung?

Van Damme: Die Rückendeckung ist positiv. Die Bundesregierung hat verstanden, wie wichtig die Breitbandversorgung für Deutschland ist. Es war richtig, das schnelle LTE-Netz zunächst auf dem Land auszubauen, um dort die Breitbandversorgung zu verbessern. Normalerweise würden wir uns ja erst um die Städte kümmern, weil sich dort mehr Geld verdienen lässt.

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, hat kritisiert, die Telekom würde das Netz im ländlichen Raum immer nur dort ausbauen, wo die Konkurrenz auch gerade tätig werden will.

Van Damme: Das bestreiten wir, weil es einfach nicht stimmt. Die Realität spricht nämlich eine andere Sprache. Wir haben seit 2008 5500 Kooperationen mit Kommunen vereinbart und so mehr als zwei Millionen Haushalte zusätzlich versorgt. Niemand macht so viel wie wir, und das sage ich voller Stolz. Aber wir haben auf dem Breitbandmarkt nur einen Anteil von unter 50 Prozent. Deshalb sollen und müssen die Wettbewerber auch mitmachen.

Der deutsche Mobilfunkmarkt hat sich im vergangenen Jahr durch die Übernahme von E-Plus durch Telefonica verändert. Wie wirkt sich das auf die Telekom aus?

Van Damme: Das können wir derzeit noch nicht genau absehen. Fakt ist das die Telekom davon profitiert, dass sie in den letzten Jahren massiv in die Netze investiert hat. In letzter Zeit entscheiden sich wegen der hohen Qualität - zum Beispiel der besseren Übertragung von Videos - auch preissensitive Kunden wie junge Menschen für uns oder die Zweitmarke Congstar. Wer seinen Freunden ein Video zeigen will und es passiert nichts, das ist peinlich.

Bald gibt es fünf Jahre die Telekom Deutschland GmbH: Ist die Umorganisation abgeschlossen?

Van Damme: Ja, fünf spannende Jahre. Ich bin sehr zufrieden. Es war wichtig, das Festnetz- und das Mobilfunkgeschäft zusammenzulegen. 90 bis 95 Prozent der Arbeit haben wir geschafft. Wenn wir heute die Planung für den Ausbau des Festnetzes machen, dann behalten wir den Mobilfunkausbau direkt mit im Blick. Früher hat jeder nur auf seinen Bereich geschaut.

Sie sind als Niederländer in einem deutschen Konzern tätig: Was fällt Ihnen an Unterschieden auf?

Van Damme: Es entspricht der deutschen Mentalität, auf Sicherheit und Qualität zu setzen. Das ist grundsätzlich gut. Ich glaube auch daran, dass Qualität sich durchsetzt. Aber es kann auch dazu führen, dass man zu lange wartet, bis man ein Produkt einführt. Die Niederländer probieren eher mal etwas aus. Man kann das als Handelsgeist bezeichnen. Wenn beide Eigenschaften sich treffen, kommt etwas Gutes heraus. Die Holländer sind außerdem in der Arbeit direkt per Du, Deutsche arbeiten oft zehn Jahre lang zusammen und siezen sich immer noch. Auch hier macht es die Mischung. Als ich hier anfing, siezten wir uns in der Geschäftsleitung, obwohl wir mehrmals pro Woche beisammen sind. Jetzt duzen wir uns. Das schafft einerseits Vertrauen, man kann aber auch Tacheles miteinander reden, wenn es darauf ankommt. Aber, um es auf den Punkt zu bringen, ich arbeite gerne in Deutschland.

Führen die Mentalitätsunterschiede zu einem anderen Führungsstil?

Van Damme: Holländer sind direkter im Führungsstil, sie übertragen den Mitarbeitern eher die Verantwortung für eine Aufgabe. In Deutschland ist es oft so, dass der Chef genau kontrolliert, ob ein Mitarbeiter seine Aufgabe auch richtig macht. Hier bei der Telekom haben wir so viele hoch qualifizierte Mitarbeiter, ich muss mir nicht einbilden, dass ich jedes Detail ihrer Arbeit besser verstehe als sie.

Zwischen Rasierklingen-Box und Strategiedebatte

Für Niek Jan van Damme beginnt der Arbeitstag mit Rasierklingen. In diesem Fall noch einmal dienstlich. Gillette will eine Box zum Aufbewahren von Rasierer und Klingen auf den Markt bringen, mit deren Hilfe Nutzer per Knopfdruck direkt aus dem Badezimmer heraus neue Klingen bestellen können. Die Telekom war bei der Entwicklung für die drahtlosen Anbindungen an das Internet zuständig. Van Damme lässt sich an diesem Morgen von Conrad Riedesel, Marketingspezialist aus seinem Haus, über den Stand des Markttests informieren. Als Telekom-Vorstand für das Deutschland-Geschäft ist er nicht nur für das Mobilfunk- und Festnetzgeschäft sowie das Wohl und Wehe von gut 65 000 Mitarbeitern zuständig, sondern seit April 2014 zusätzlich für Innovation und Produktentwicklung.

Der Niederländer, der fließend Deutsch mit einem winzigen Akzent spricht, ist ein guter Zuhörer. Es gehört nicht zu den Managern, die meinen, die Dinge zu bestimmen, indem sie vor allem selbst reden. Das zeigt sich auch bei einem anderen Termin.

Es geht um Grundsätzliches. Van Damme sitzt mit Strategiechef Andreas Lischka zusammen, um sich über weitere Schritte in Sachen E-Company informieren zu lassen. Hinter dem sperrigen Begriff steckt das Ziel, die Zugangswege über das Internet zu vereinfachen. 68 Apps hat die Telekom derzeit, berichtet Lischka. Es sollen signifikant weniger werden.

"Wir wollen über alle Kanäle einfacher zu erreichen sein", sagt van Damme. So müsse sich das Bündelprodukt MagentaEins auch in einem Schritt über das Internet bestellen lassen. Derzeit laufen die Bestellprozesse für Festnetz und Mobilfunk getrennt. Van Damme stellt Fragen, lässt sich über Abstimmungsprozesse informieren. Er ist extrem höflich und zuvorkommend.

Mitarbeiter berichten, dass sie gerne mit ihm zusammenarbeiten, er sei sehr angenehm im Umgang. Der 53-Jährige ist seit März 2009 Vorstandsmitglied bei der Telekom und zudem seit April 2010 Sprecher der Geschäftsführung der Telekom Deutschland GmbH. In seinen Zuständigkeitsbereich fällt mit der IP-Transformation der Telekom, also der Netzmodernisierung, ein Schlüsselprojekt des Konzerns. Bis 2018 soll die Umstellung abgeschlossen sein. Kein Tätigkeitsfeld, bei dem der Arbeitstag nach acht Stunden beendet ist.

Der hochgewachsene Manager sagt, dass er sich die Wochenenden meist frei von Arbeit halte: "Höchstens mal ein Stündchen Emails beantworten." Er kocht und reist gerne, war gerade auf Safari in Afrika. Sonst bleibe für Hobbys derzeit nicht so viel Zeit.

Van Damme ist schon in seinem Heimatland zur Telekom gestoßen. Von 2004 bis 2009 führte van Damme die T-Mobile Niederlande als Vorsitzender der Geschäftsführung, wo er für die Integration der Mobilfunk- und Festnetz-Aktivitäten der Orange Niederlande in die T-Mobile Niederlande verantwortlich war. Er studierte Wirtschaft in Amsterdam und begann seine berufliche Laufbahn 1986 bei Procter & Gamble und wechselte 1993 zum holländischen Einzelhändler Ahold. Ab 1997 war van Damme Managing Partner bei Floor Heijn Retail, bis er 1999 als Marketing-Direktor zu Ben Nederland ging, der späteren T-Mobile Niederlande.

Van Damme hat sein Büro am Landgrabenweg bei Telekom Deutschland. Vorgänger hatten noch ein zweites Büro in der Konzernzentrale in der Friedrich-Ebert-Allee. Das sei ihm zu kompliziert, da das benötigte Material vermutlich dann immer in dem Büro sei, wo er gerade nicht ist, sagt er. Deshalb lässt er sich zu Terminen in die Zentrale fahren.

Wie an diesem Mittag. Er trifft Nachwuchsmanager der T-Mobile Niederlande. Ein Termin, der ihm aus alter Verbundenheit am Herzen liegt. Es dauert wenige Sekunden, er wird überschwänglich begrüßt und ins Gespräch gezogen.

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