Fleischkonsum "Im Verhalten der Bevölkerung wird sich wohl nichts ändern"

Dass übermäßiger Fleischkonsum Auswirkungen auf die Gesundheit hat, ist nicht neu. Der Ernährungswissenschaftler Professor Peter Stehle von der Universität Bonn erklärt im General-Anzeiger-Interview mit Nadine Klees, wie viel Fleisch der Mensch pro Woche essen sollte und dass Darmkrebs nicht das einzige Risiko ist.

 Peter Stehle ist Professor am Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn.

Peter Stehle ist Professor am Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn.

Foto: GA

Herr Stehle, überraschen Sie die Ergebnisse der WHO, dass verarbeitete Fleischerzeugnisse das Darmkrebsrisiko erhöhen?
Peter Stehle: Nein. Es gibt schon lange Forschung auf dem Gebiet. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für einen gesunden Erwachsenen 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischwaren pro Woche. Wenn man überlegt, dass ein Kotelett schon 200 Gramm haben kann, ist das nicht viel. Als Richtwert gilt also: zwei bis drei Mal Fleisch und Wurst pro Woche. Studien über die Rolle dieser Lebensmittelgruppe gibt es seit Jahren. Vor allem im roten Fleisch, und dazu gehört auch die daraus hergestellte Wurst, ist viel roter Farbstoff (Myoglobin) enthalten, der schon lange im Verdacht steht, krebserregend zu sein.

Was ist denn dann das Neue an den Ergebnissen?
Stehle: Dass die WHO sich damit aus ihrem Elfenbeinturm traut. Einige Aussagen wie zum Beispiel "Jede verzehrte Portion verarbeiteten Fleisches von täglich 50 Gramm erhöht das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent" halte ich allerdings für sehr gewagt. Die Einordnung "wahrscheinlich" krebserregend bei rotem Fleisch ist eher schwach einzustufen. Die Ergebnisse beruhen auf Beobachtungsstudien. Das heißt, es wurde über eine längere Zeit das Ernährungsverhalten einer Bevölkerungsgruppe beobachtet und dazu die in diesem Zeitraum auftretenden Krankheiten in Beziehung gesetzt. Daraus versuchen Wissenschaftler dann eine Bewertung abzuleiten

Werden die Ergebnisse Auswirkungen haben?
Stehle: Im Verhalten der Bevölkerung wird sich wohl nichts ändern. Die Ernährungswissenschaft hat schon lange eine Empfehlung für einen zurückhaltenden Verzehr an Fleischerzeugnissen gegeben. Tatsächlich sollten die Verbraucher lernen, generell nicht so viele Fleisch- und Wurstwaren zu konsumieren. Es geht dabei nicht nur um das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Fleisch enthält viele gesättigte Fettsäuren und kann dadurch zur Entwicklung von Gefäßverengungen (Atherosklerose) beitragen. Fette Fleischwaren liefern einfach zu viele Kalorien. Deshalb gilt generell: Den Konsum kontrollieren. Gerade der Konsum von zu viel Eisen aus rotem Fleisch kann auch verstärkt das Risiko für Augenkrankheiten auslösen, zum Beispiel den "Grauen Star".

Kann man denn sagen, das eine Fleisch ist gesünder als das andere?
Stehle: Den Ausdruck "gesünder" finde ich generell falsch. Einzelne Lebensmittel können nicht "gesünder" sein als andere. Wenn ich das Krebsrisiko betrachte, ist das weiße Fleisch, wie Hühnchen oder Pute, günstiger einzuschätzen. Generell ist aber nicht nur die Art des Fleisches wichtig, sondern auch die Zubereitung. Fleischwaren aus rotem Fleisch werden zum Beispiel häufig gegrillt. Beim Grillen über Holzkohle entstehen Stoffe, die dem Fleisch anhaften. Somit kommt es nicht nur darauf an, welches Fleisch verzehrt wird, sondern auch wie es zubereitet ist.

Wenn das Darmkrebsrisiko beim erhöhten Verzehr Wurst steigt, heißt das umgekehrt: Vegetarier erkranken seltener?
Stehle: Das ist nicht erwiesen. Es gibt keine entsprechenden Studien. Denn dazu müsste man vergleichende Untersuchungen mit beiden Ernährungsformen durchführen. Das gibt es bisher nicht. Aber generell empfehlen Ernährungswissenschaftler, pflanzlich orientierte Kost zu wählen.

Halten Sie es für richtig, die Wurst auf die Gefahrenliste zu setzen?
Stehle: Ohne eine Angabe, wie viel Fleischerzeugnisse pro Tag noch akzeptabel sind, halte ich die Aufnahme in eine "Gefahrenliste", wie zum Beispiel Rauchen, nicht für sinnvoll. Wir müssen dem Verbraucher mehr konkrete Hilfe geben, nicht etwas generell verbieten.

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