GA-Interview mit Klaus Toppmöller "Ich kann den Job noch mit 80 machen"

RIVENICH · Klaus Toppmöller bricht im Alter von 63 Jahren noch einmal auf zu neuen Horizonten. Der frühere Trainer von Bayer Leverkusen soll ab Juni 2015 die Nationalauswahl von Togo betreuen. In der Fußball-Weltrangliste belegt der westafrikanische Kleinstaat, in dem knapp sieben Millionen Menschen leben, derzeit den 75. Platz.

Herr Toppmöller, Sie sind jetzt 63. Vor sechs Jahren endete Ihr letzter Job in Georgien. Wenn neue Trainer gesucht werden, sind Sie regelmäßig im Gespräch – auch in der Bundesliga …
Klaus Toppmöller: Mit Deutschland habe ich nach dem Ende meiner Zeit in Hamburg vor zehn Jahren im Grunde schon länger abgeschlossen, obwohl hier und da immer noch Anfragen kommen. Zweimal fehlte nicht viel, und die Bundesliga hätte mich wieder gehabt.

Bei welchen Vereinen?
Toppmöller: Köln und Hoffenheim.

[kein Linktext vorhanden]Jetzt wollen Sie als Nationaltrainer von Togo noch einmal angreifen. Wie kommt es dazu? Schließlich sind Sie sehr verwurzelt in ihrem Heimatort Rivenich in der Nähe von Trier.
Toppmöller: Das stimmt, ich habe inzwischen vier Enkelkinder und die Familie hat für mich absolute Priorität. Deshalb will ich im Wesentlichen von Zuhause arbeiten. Also muss alles passen, wirklich alles.

Wie konkret ist Ihr Engagement für Togo, den Weltranglisten-75.?
Toppmöller: Grundsätzlich sind wir uns einig, auch mein Co-Trainer Werner Melzer würde mitmachen. Es wird noch an Rahmenbedingungen gefeilt.

Wann würde es losgehen?
Toppmöller: Das erste Qualifikationsspiel für den Afrika-Cup 2017 steht im Juni auf dem Programm.

Was treibt Sie an?
Toppmöller: Es ist ein Lebenstraum von mir, als krönender Abschluss meiner Trainerlaufbahn bei einer WM dabei zu sein.

Wie kann der Nationaltrainer eines afrikanischen Landes von Deutschland aus arbeiten?
Toppmöller: Das klappte ja schon bei meinem Engagement für Georgien gut. Man ist nah genug dran, weil die Profis sowieso nahezu alle in den großen Ligen Europas Zuhause sind. Ich habe alle Spiele gesehen, die von Interesse sind. Wichtig war für mich, den Afrika-Cup komplett zu gucken. Dank der Fernsehübertragungen ist das ja heutzutage kein Problem. Zudem sind die meisten Profis aus Togo in Frankreich unter Vertrag.

Auch ein Engagement in China stand vor kurzem zur Diskussion, richtig?
Toppmöller: Letztes Jahr habe ich in Dubai auf Anfrage des chinesischen Fußball-Verbandes deren Spiel gegen den Irak gesehen und mit den Chinesen verhandelt.

Welches Interesse hatten die Chinesen an Ihnen?
Toppmöller: Es ging darum, als Nationaltrainer und Sportdirektor in Personalunion Strukturen aufzubauen und unter anderem 100 deutsche Trainer einzustellen. Die Chinesen wollten den DFB kopieren, was die Nachwuchsarbeit angeht. Für sie ist es eine Schande, soweit hinter Japan zurückzuliegen. Und dass reiche Unternehmer für Millionen Profis für Ihre Liga einkaufen, bringt sie nicht weiter.

Woran ist es gescheitert?
Toppmöller: Wie gesagt: Voraussetzung wäre gewesen, im Land zu wohnen. Meine Grundbedingung ist aber, von zu Hause aus zu arbeiten.

Ist Spitzenfußball wie eine Sucht, die man nicht lassen kann?
Toppmöller: Dazu sage ich nur: Einmal Fußballer, immer Fußballer.

Besteht nicht die Gefahr, kein Ende zu finden?
Toppmöller: Ach was, ich könnte mir vorstellen, mit 80 noch den Job zu machen. Einen, der so bekloppt ist wie ich und sich so viele Spiele anschaut, den gibt es auf der ganzen Welt nur einmal.

Ausgerechnet auf Togos Elf gab es 2010 ein Attentat, bei dem mehrere Spieler starben? Hat Ihre Familie keine Angst um Sie?
Toppmöller: Darüber wird schon gesprochen, und Respekt ist da. Aber vor allem meine beiden ebenfalls Fußball-verrückten Söhne sagen mir: du musst das machen.

Sie selbst haben keinerlei Angst?
Toppmöller: Ich war am Rande der Fußball-WM in Rio auch in den Favelas und habe in einer Kneipe Bier mit Einheimischen getrunken. 1980 war ich als Profi in den USA. Wenn ich überlege, wo ich damals überall herumgeturnt bin, dann war das unverantwortlich. Aber mir hat noch nie jemand das Portmonnaie geklaut. Mein Motto: Wer Vertrauen in die Menschheit hat, bekommt es zurück.

Zu Ihrer erfolgreichsten Zeit als Trainer: Das war in Leverkusen, Ihr Team spielte mit Ballack und Ze Roberto begeisternden Offensivfußball. Gleichzeitig sind Sie Schuld am Begriff Vizekusen. Verursacht Ihnen das Vize-Triple von 2002 noch Alpträume?
Toppmöller: Ich denke nur voller Stolz an diese Zeit zurück. Der beste Tipp vor Saisonbeginn war der von Udo Lattek: Platz sieben. Dann haben wir eine Supersaison gespielt, wurden Liga-Zweiter und standen in zwei Endspielen. Das war zweifellos meine beste Zeit als Trainer. Besonders stolz macht mich, damals Zweiter bei der Wahl zu Europas Trainer des Jahres geworden zu sein. Zwar hinter Madrids Champions-League-Sieger Vicente del Bosque, aber vor meinem Trainer-Vorbild Alex Ferguson.

Ist die aktuelle Saison von Borussia Dortmund eine Kopie dessen, was Sie mit Leverkusen nach der WM 2002 durchmachten?

Toppmöller: Kann man so sehen. Im Champions-League-Finale waren Jens Novotny und Ze Roberto nicht dabei. Unser Kader insgesamt war zu dünn. Er war nicht darauf ausgelegt, alle Wettbewerbe durchzustehen. Wir hatten insgesamt über 70 Spiele. Und dann waren auch noch fünf Bayer-04-Profis bei der WM. Danach waren sie kaputt – das ist normal.

Im Gegensatz zu Leverkusen damals hat der BVB an Klopp festgehalten ...

Toppmöller: Er hat einen anderen Stellenwert dort.

Woran liegt das?
Toppmöller: Ich bin ein Typ, der geradeaus ist und das Herz auf der Zunge trägt.

Der „Kloppo“ doch auch. Ist das heute eher gefragt?
Toppmöller: Weiß ich nicht, weil ich nicht dabei bin. Aber in meinem Fall sind einige Journalisten ja nicht gerade meine besten Freunde.

Nennen Sie ein Beispiel.
Toppmöller: Als ich in Frankfurt anfing, wollte ein Kollege von Ihnen immer in die Kabine, weil das bei meinem Vorgänger Stepanovic so üblich gewesen war. Ich habe mich aber vor ihn gestellt und gesagt: du kommst da nicht hinein.

Hat er Sie das spüren lassen?
Toppmöller: Anfangs musste er ja positiv schreiben, weil wir eine Riesensaison gespielt haben.

Das war 1993, Frankfurt hatte tolle Spieler wie Anthony Yeboah. Jay-Jay Okocha schoss ein unvergessliches Tor des Jahres. Und Sie sorgten als Tabellenführer mit dem Spruch „Bye-Bye Bayern“ für Aufsehen. War das der Leichtsinn eines jungen Trainers, der Sie damals mit 42 Jahren waren?
Toppmöller: Ich bin so wie ich bin. Das war Jux, das war Spaß, eine spontane Idee. Es wurde mir von den Fans auch nie krummgenommen, auch von denen der Bayern nicht.

Sie sind in Frankfurt letztlich also nicht an Überheblichkeit gescheitert?
Toppmöller: Nein. Ich sollte Uli Stein nicht aufstellen, weil der beim Vorstand in Ungnade gefallen war. Ich habe ihn trotzdem gebracht. Auf den damals besten deutschen Torwart konnte und wollte ich nicht verzichten. Der hielt wie ein Weltmeister. Und ich kann doch nicht ein halbes Jahr lang über seine Klasse reden und dann sagen: ich stelle ihn nicht auf.

Die Folge?
Toppmöller: Weil ich wusste, was kommt, habe ich am nächsten Morgen gleich meinen Spint leer geräumt, alle Sachen in den Kofferraum gepackt. Nach dem Training teilte man mir wie erwartet mit: Wir haben entschieden, den Uli und dich zu suspendieren.

Zurück zu Leverkusen 2015: Gefällt Ihnen die Spielphilosophie von Roger Schmidt, diese offensive Herangehensweise?
Toppmöller: Dass Leverkusen außergewöhnlich offensiv spielt, sieht man nicht an den Toren.

Halten Sie nichts vom Power-Pressing?
Toppmöller: Davon ja. Aber das kann man über eine ganze Saison nicht durchhalten.

Ihr Kritikpunkt?
Toppmöller: Die Laufintensität ist extrem hoch, dieser Offensivstil zu kraftraubend. Das Spielerische kommt zu kurz. Es werden viel zu viele lange Bälle hinten rausgespielt.

Was könnte besser laufen?

Toppmöller: Ich würde mehr auf Ballstafetten setzen, um Abwehrbollwerke zu knacken.

Wie schätzen Sie das 1:0 gegen Atlético ein?
Toppmöller: Stark. Das Zweikampfverhalten war sehr gut. Aber nach dem Platzverweis habe ich gedacht, daraus muss Bayer mehr machen. Das 1:0 reicht nach meiner Meinung nicht. In den Augen von Trainer Diego Simeone und den Atlético-Spielern war zu sehen: In Madrid wird es richtig zur Sache gehen. Gut möglich, dass da der eine oder andere vom Platz fliegt.

Was trauen Sie Leverkusen in dieser Saison noch zu, trotz der zuletzt schwachen Bundesliga-Ergebnisse?

Toppmöller: Die Chancen auf die Champions-League-Qualifikation sind da, aber es wird eng. Was mich stutzig macht am System Schmidt: Dass Stefan Kießling keine Rolle mehr spielt. Dass er sich das so bieten lässt, ist bewundernswert. Ich hätte das nicht mit mir machen lassen. Wenn ich jahrelang pro Serie so viele Tore geschossen hätte wie er, immer so um die 20, dann wäre ich in so einer Situation wahnsinnig geworden.

Sie waren ein klassischer Mittelstürmer. Blutet Ihr Herz, wenn Sie sehen, dass diese Spezies ausstirbt?
Toppmöller: Ja klar.

Hat er keinen Platz mehr im modernen Fußball?
Toppmöller: Doch. Die Renaissance wird kommen. Derzeit ist alles einfach zugespitzt auf diese Mittelstürmer-Frage. Irgendwann wird wieder ein richtiger Typ da sein, und dann ist von der Wiedergeburt des Stürmers die Rede.

Warum sind derzeit die Topteams oft auch ohne reine Spitze so stark?
Toppmöller: Die Bayern haben 22 bis 24 extrem gute Fußballer, zeitgleich ist es in der Nationalmannschaft so. Egal, wer aufgestellt wird, es stehen die elf besten Spieler der Welt auf dem Platz - ob bei Deutschland oder den Bayern.

Und der Anteil der Trainer?
Toppmöller: Beide sind herausragend. Guardiola und Löw sind die besten Trainer der Welt. Die Frage nach dem Stürmer wird hochgespielt, dabei ist sie nebensächlich. Beide haben die besten Spieler der Welt - eigentlich dürften die gar kein Spiel verlieren.

Was halten Sie von der Trainerleistung Peter Stögers beim 1. FC Köln?
Toppmöller: Mit diesem Kader den Klassenerhalt zu schaffen ist eine größere Leistung als mit Bayern Meister zu werden.

Zur Person

Klaus Toppmöller wohnt in Rivenich, wo er am 12. August 1951 im Gasthaus seiner Eltern geboren wurde. Mit 17 Jahren wechselte er vom Dorfverein SV Rivenich zum Regionalligisten Eintracht Trier. Dem nächstgelegenen Bundesligisten 1. FC Kaiserslautern blieb er von 1972 bis 1980 treu, schoss 108 Tore in 204 Bundesligaspielen. Er zählt zur Jahrhundert-Elf des 1. FCK, traf in drei Länderspielen einmal für Deutschland (beim 2:0 im EM-Qualifikationsspiel gegen Spanien 1976). Ein Verkehrsunfall verhinderte seine EM-Teilnahme. Profi-Trainerstationen: Frankfurt (1993/94), Bochum (1994-1999), Saarbrücken (1999/2000), Leverkusen (2001-03), HSV (2003/04), Georgien (2006-2008).

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