GA-Interview mit DOSB-Präsident Hans-Peter Krämer zu München 2022, Sotchi und Doping

BONN · In seine kurze Amtszeit fällt die fünfte olympische Bewerbungs-Pleite Deutschlands in der jüngeren Vergangenheit. Als Schock erlebte Hans-Peter Krämer – Übergangspräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) seit dem Aufstieg von Thomas Bach zum Chef des Internationalen Olympischen Komitees – Anfang des Monats die deftige Niederlage im Bürgerentscheid über die Winterspiele 2022 in München. Im Interview räumt der 72-Jährige erstmals ausführlich Fehler des DOSB ein.

 Der Übergangspräsident des DOSB Hans-Peter Krämer.

Der Übergangspräsident des DOSB Hans-Peter Krämer.

Foto: Horst Müller

Herr Krämer, mit welchen Gefühlen werden Sie nach 83 Tagen in gut einer Woche ihr Amt an den designierten DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann weitergeben?
Hans-Peter Krämer: Mich kann ja keiner kritisieren, weil ich die Schamfrist von 100 Tagen nicht erreiche. Nein, im Ernst: Es waren zuletzt turbulente Tage. Da war die für uns sehr emotionale Wahl von Thomas Bach zum IOC-Präsidenten, die eine Auszeichnung für den deutschen Sport insgesamt ist. Emotional war für mich auch die einstimmige Bitte meiner Präsidiumskollegen, ich solle als Brückenteil bis zur nächsten Mitgliederversammlung fungieren.

Andererseits gab es einen dicken Wermutstropfen ausgerechnet in Ihrer kurzen Amtszeit ...
Krämer: Ja, der Bürgerentscheid gegen die Olympiabewerbung Münchens, das war sehr enttäuschend. Es ist ausgesprochen schade, dass wir nicht die Gelegenheit haben, uns als hervorragender Gastgeber zu präsentieren. Und dass wir der Welt nicht beweisen dürfen, dass wir die nachhaltigsten Olympischen Winterspiele veranstalten können, die es je gegeben hat.

Was sind die Ursachen der Ablehnung?
Krämer: Wir haben sicherlich darunter gelitten, dass die Vorbereitung des Bürgerentscheids in eine Zeit fiel, in der in der Bevölkerung die Themen Sotschi und Katar mit einem sehr unangenehmen Beigeschmack diskutiert wurden. Zudem herrscht generell eine große Reserviertheit gegenüber Großprojekten. Das haben viele vermengt. Es hat auch eine Rolle gespielt, dass wir den Bürgerentscheid nicht an Bundestags- und Landtagswahl angehängt haben, die in Bayern kurz vorher stattfanden. Wir wissen, dass eine große Zahl von Menschen in Deutschland und auch in München Freunde von Olympia sind.

Warum wurden diese nicht ausreichend mobilisiert?
Krämer: Wir haben nicht damit gerechnet, dass die Stoßrichtung der Gegner mehr das IOC und die Probleme der großen Weltverbände sein würden. Bei der Bewerbung für 2018 standen die Themen Umwelt- und Naturschutz im Vordergrund. Deshalb haben wir sehr viel Wert auf ein nochmals verbessertes Konzept gelegt und Langlauf- sowie Biathlonwettbewerbe aus dem Garmisch-Partenkirchener Bereich heraus nach Ruhpolding verlegt. Wir haben deutlich gemacht, dass wir auf 84 Prozent vorhandener Sportstätten zurückgreifen, daneben vor allem temporäre Anlagen planen und wir nur eine Fläche von weniger als einem Fußballfeld dauerhaft neu versiegeln. Deshalb hat es in diesem Bereich auch kaum Kritik gegeben. Unsere Gegner haben sich weniger an dem Konzept gerieben als an anderen Dingen. Und damit leider erfolgreich Stimmung gegen uns gemacht.

Welche Fehler sind dem DOSB unterlaufen?
Krämer: Wir haben uns von der Stoßrichtung der Angriffe überraschen lassen, die vor allem gegen das IOC gerichtet waren. Es ist uns nicht gelungen, diese zu entkräften, obwohl sie falsch sind. Und der Satz von Münchens OB Christian Ude, die Verträge des IOC seien eine Zumutung, hat es sicher auch nicht einfacher gemacht.

Hätte Thomas Bach mit einem starken Wort etwas bewegen können?
Krämer: Nein. Thomas Bach konnte nichts machen, denn als Präsident des IOC ist er zur strikter Neutralität verpflichtet. Das wäre kontraproduktiv gewesen.

Ist die Kritik an den Herren der Ringe denn unberechtigt, also die Vorwürfe von Profitgier?
Krämer: Ich habe immer noch nicht verstanden, warum man dem IOC in Verbindung mit den Verträgen mit Ausrichtern mangelnde Transparenz und Profitgier vorgeworfen hat. Die Verträge enthalten die gleichen Elemente wie bei jeder Fußball-WM oder Leichathletik-WM. Und erinnern Sie sich an das Sommermärchen 2006, vor dem die Bundesregierung mit einem Federstrich die Steuererleichterung für die Fifa unterzeichnet hat. Trotzdem war die WM auch wirtschaftlich ein Gewinn für Deutschland.

Schwingen bei der Stimmung gegen Olympia noch die frühere Skandale wie der um die Coca-Cola-Spiele 1996 in Atlanta oder der Korruptionsskandal von 2002 um Salt Lake City mit?
Krämer: Jacques Rogge, der Vorgänger von Thomas Bach, hat sehr deutlich gemacht, dass sich das IOC inzwischen anders verhält. Das IOC hat seine Probleme der Vergangenheit intensiv aufgearbeitet. Es war einfach die Vermengung in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Fifa und IOC. Hinzu kam die teilweise negative Stimmung in den Medien gegenüber der Wahl von Thomas Bach. Es ist eine allgemeine Stimmung entstanden, gegen die Sachargumente nicht wirkten.

Sie haben alleine in München 400.000 Sportvereinsmitglieder.
Krämer: Richtig, wenn nur die Hälfte davon zur Wahlurne gegangen wäre, dann hätte es wahrscheinlich schon in München gereicht.

Wurde dort zu wenig getan?
Krämer: Zu wenig glaube ich nicht, aber möglicherweise das falsche. In München hingen ja überall Plakate von wichtigen und weniger wichtigen Leuten. Das hat offenbar nicht genug überzeugt. Und wir haben möglicherweise zu wenig auf die sozialen Netzwerke gesetzt.

Und an den anderen Abstimmungsorten?
Krämer: Rätselhaft ist für uns, was in den Tälern um Berchtesgaden und Ruhpolding geschehen ist – diese Ablehnung war neu. Völlig konsterniert hat uns Garmisch-Partenkirchen. Wir hatten in der Bewerbung 2018 im damaligen Bürgerentscheid eine Zustimmung von 58 Prozent. Dann sind die Garmischer-Partenkirchener für 2022 noch entlastet worden – und wir verlieren dieses Mal mit 48,5 Prozent. Da muss irgendetwas passiert sein, was wir immer noch nicht genau wissen. Jedenfalls ist es uns nicht gelungen, den Bürgern ihre Sorgen zu nehmen und die Chancen aufzuzeigen.

Dann sagen Sie es doch einmal anders herum. Warum wäre Olympia gut für Deutschland gewesen? Was hätte Olympia der Region und dem Land bringen können?
Krämer: Eine ganze Menge. Zum einen infrastrukturell. Schauen Sie sich die Verkehrsverhältnisse in und um Garmisch-Partenkirchen an oder auf der Autobahn zwischen München und Salzburg. Olympische Spiele mit ihrer Begeisterung hätten für Garmisch-Partenkirchen und die gesamte deutsche Alpenregion ein Impuls sein können, ein Wintermärchen.

Ist die Idee von Olympia in Deutschland jetzt auf Jahrzehnte hinaus gestorben?
Krämer: Meine und die klare Meinung im DOSB ist: Deutschland als ein großes und wohlhabendes Land sollte sich irgendwann wieder um Olympische Spiele bewerben. Bevor wir aber sagen, wann sich die Tür öffnet, müssen wir erst in Ruhe analysieren.

Die Ruhe wurde aber schon von etlichen Zwischenrufen gestört ...
Krämer: Ja, schon am Montag nach dem Bürgerentscheid kamen aus Berlin und Hamburg Signale. Es war auch nicht hilfreich, dass ein sächsischer Bürgermeister sagte: „Wenn die Münchner es nicht wollen, dann mache ich das mit den Tschechen.“ Das alles macht in der Öffentlichkeit den Eindruck ...

... die Deutschen können kein Olympia, oder?
Krämer: Nein, das sicher nicht. Aber wir müssen jetzt schauen, wann es sicher wieder lohnt, eine neue Bewerbung zu planen.

Geht der Trend Richtung Sommerspiele?
Krämer: Das hängt nicht nur von unseren Wünschen ab. Man muss sich den internationalen Kalender ansehen. Ich bin ziemlich sicher, dass die Winterspiele 2022 nach Europa gehen, das wäre unsere Chance gewesen. Die Winterspiele 2018 und die Sommerspiele 2020 finden ja in Asien statt. Sicher kommen demnächst auch die Amerikaner wieder mit einer Bewerbung und auch Afrika macht sich bereit.

Das hört sich ein bisschen an wie: Kopf in den Sand gesteckt.
Krämer: Nein, auf keinen Fall. Welchen Eindruck macht es denn, wenn wir 14 Tage nach dieser grandiosen Pleite mit dem Bürgerentscheid ein Signal geben: Wir bewerben uns dann und dann? Wir werden vorerst den Teufel tun.

Thema Bürgerentscheid – ist er es das richtige Instrument für eine solche Entscheidung? Wenn wir das in allen Fragen durchziehen, nimmt die Anzahl ständig zu.
Krämer: Sie haben Recht. Formaljuristisch wäre er nicht notwendig gewesen, und vielleicht kam er auch zu früh. Aber nach der Diskussion um 2018 in München und Garmisch-Partenkirchen wollten wir uns nur mit einem klaren Bekenntnis der Bürger bewerben. Man muss sagen: Ohne den Bürgerentscheid hätten wir eine große Chance gehabt, Olympische Spiele zu bekommen. Aber in diese Situation, die der eine oder andere im Nachhinein als Falle sehen mag, haben sich alle Beteiligten aus Sport und Politik gemeinsam begeben.

Haben die Dinge, so wie sie gelaufen sind, Ihre Einstellung zum Bürgerentscheid verändert?
Krämer: Ich bin nicht der Meinung, dass wir in allen Fragen dieser Republik Bürgerentscheide initiieren sollten. Wir haben eine repräsentative Demokratie, und die würde damit natürlich damit entwertet. Aber in der Frage Olympia hab ich auch zu denen gehört, die gesagt haben: Das ist eine saubere Entscheidung.

Sie sprachen die Stimmung im Land gegenüber dem IOC und der Fifa an. Können Sie die Vergabepolitik in beiden Institutionen nachvollziehen? Beispiele Katar und Sotschi.
Krämer: Zur Fifa kann ich nichts sagen. Eines zu Sotschi, ohne dass ich die dortigen Umstände verteidigen will: Russland ist ein Riesenland und hatte noch nie Olympische Winterspiele. Wir, die wir die Alpen mit dem Skifahren Jahrhunderte lang gequält haben, sollten uns nicht hinstellen und sagen, die schlimmen Russen machen alles verkehrt. Was Sotschi zweifellos sehr schwierig macht, ist die Menschenrechtsfrage. Das ist der Kernpunkt, aber die Vergabe an Sotschi halte ich vom Grundsatz her für nicht kritikwürdig. Wir können nicht den Anspruch erheben, dass immer nur Länder unseres Zuschnitts die Spiele bekommen. Viele sagen, in China habe sich nichts geändert. Ich glaube schon, dass sich in China etwas bewegt. Ich finde es erbärmlich, dass der Sport immer herhalten muss für Dinge, die Politiker nicht auf die Reihe bekommen. Nur weil man sich am Sport so wunderbar emotional reiben kann.

Aber das IOC macht doch Cash – in den letzten vier Jahren wurden acht Milliarden US-Dollar eingenommen ...
Krämer: Diese acht Milliarden sind zu mehr als 90 Prozent in die Organisation der Olympischen Spiele, die Sportförderung in Entwicklungsländern oder in den Breitensport geflossen. Auch der deutsche Sport profitiert davon. Und was die Spiele angeht, so sind die für sich genommen in jüngerer Vergangenheit fast immer profitabel gewesen oder haben mit einer schwarzen Null abgeschlossen: Gewinne der Organisationskomitees, die durch den Verkauf von Eintrittskarten, Fernsehgeldern und Vermarktung erwirtschaftet werden, gehen zu 60 Prozent an das Organisationskomitee, zu 20 Prozent an das Nationale Olympische Komitee, bei uns also den DOSB, und zu 20 Prozent fließen sie an das IOC – als Rendite für 500 Millionen Vor-Investitionen, die das IOC leistet. Das hat doch nichts mit Profitgier zu tun.

Sind die Auswirkungen Olympischer Spiele unter dem Strich denn wirtschaftlich für das Ausrichterland?
Krämer: Man muss zwischen den direkten und indirekten Auswirkungen unterscheiden. Die Infrastruktur, in München waren dafür 1,8 Milliarden vorgesehen, bleibt ja und verbessert die Bedingungen für die Menschen vor Ort. Darin steckten für München rund 1,1 Milliarden Investitionen, die nicht olympiaabhängig sind. Olympische Spiele wären ein Beschleuniger für viele dieser Projekte gewesen.

Zusammenfassend kann man sagen: Aus Ihrer Sicht hat die negative öffentliche Wahrnehmung von Sotschi und Katar die Münchner Bewerbung zunichte gemacht.
Krämer: Sie hat dazu beigetragen, ja. Sicher sind Stuttgart 21, der Berliner Großflughafen und die Hamburger Elbphilharmonie weitere Geschichten, die den allgemeinen Unmut bestärkt haben.

Ein anderes Thema: Die Schräglage im deutschen Sport mit der Neigung zum Fußball ist ähnlich extrem wie in anderen Ländern auch. Wie ungesund ist es, dass der Fußball derart dominiert?
Krämer: Natürlich sind wir nicht glücklich darüber, dass Fußball in den Medien dominiert. Wenn man sich die Statistiken ansieht, dann stehen wir bei ARD und ZDF zumindest im Winter nicht schlecht da, im Sommer gibt es aber großen Nachholebedarf. Es ist sehr wichtig für die vielen populären Sportarten in Deutschland, im Fernsehen präsent zu sein. Denn über die Fernsehpräsenz können sie ja auch ihre Sponsoren finden und binden. Der DFB ist unser größter Verband und hilft uns als loyaler Partner. Auf seine Erfahrung greifen wir immer wieder gerne zurück. Es geht auch nicht um weniger Fußball, es geht um mehr Vielfalt. Wir haben die Aufgabe, andere Sportarten anzuschieben. Das Naturgesetz Fußball kann aber keiner ändern.

Für Sportarten wie Rudern oder Kanu gibt es staatliches Geld? Indirekt über die Polizei, die Bundeswehr, den Grenzschutz. Wie zeitgemäß ist das?
Krämer: Dass ein Ruderer viel weniger Geld verdient als ein Fußballer, ist ja nicht seiner körperlichen Leistungsfähigkeit geschuldet, sondern dem Motto „panem et circenses“. Die Ungleichheit unter den Sportarten in der Honorierung der Sportler werden wir nicht abschaffen können. Wir müssen uns mehr um duale Karrieren kümmern. Wichtig ist die berufliche Perspektive für Spitzensportler.

Wie kann das funktionieren?
Krämer: Indem wir mit Universitäten sprechen, mit Unternehmen, die Spitzensportler in Prüfungszeiten besondere Zeitregelungen ermöglichen. In sieben Bundesländern gibt es Profilquoten, da werden Studienplätze für Spitzensportler freigehalten. Sie bekommen dann einen Platz, obwohl sie vielleicht in der Note einen halben Punkt schlechter waren.

Als die Zahl von 38 Millionen zusätzlicher Spitzensportförderung bekannt wurde, hagelte es Kritik. Ist sie berechtigt?
Krämer: Nein. Der Sport hat auch wirtschaftlich betrachtet eine hohe Nachhaltigkeit: Es gibt 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Kaum einer weiß, dass der Sport etwa 138 Milliarden Euro Umsatz generiert, dass er 22,5 Milliarden Euro Steuern an Minister und Kämmerer zahlt. Dem stehen an steuerlicher Förderung und Mindereinnahmen nur 9,5 Milliarden Euro gegenüber. Die entscheidende Größe aber und der Unterschied zum angelsächsischen System ist: Wir haben im Monat 37,2 Millionen ehrenamtliche, unbezahlte Helferstunden. Sie entsprechen einer Wertschöpfung von 6,7 Milliarden Euro pro Jahr. Es fängt an bei dem Vater, der mit dem Minibus mit sieben Kindern zum Fußballspiel fährt. Deshalb habe ich auch kein schlechtes Gewissen, wenn jemand sich aufregt, dass die Sportförderung um 38 Millionen aufgestockt wird.

Hat ein Olympiasieger nach wie vor eine Vorbildfunktion?
Krämer: Ja, hat er eindeutig.

Dann kann die öffentliche Hand ja nicht genug Geld in den Leistungssport stecken.
Krämer: Ich bin der Meinung, wenn die Öffentlichkeit und damit auch die Politik wünscht, dass wir genauso viele Medaillen wie bisher bei einer immer stärker werdenden Konkurrenz gewinnen sollen, dann wird mehr Geld benötigt. Diese Rechnung sollte man dann auch transparent und alles andere als schamvoll präsentieren.

Also ist es aus ihrer Warte sinnvoll, den Medaillenspiegel zumindest auf diesem Niveau zu halten?
Krämer: Da hängt ja offenbar auch das Selbstbewusstsein einer ganzen Nation dran.

Ist so ein Medaillenspiegel nicht inzwischen Makulatur, weil der Faktor Doping eine gewaltige Rolle spielt?
Krämer: Ein ganz schlimmes Thema. Wir kämpfen für einen manipulationsfreien Sport. Da sind wir uns alle einig. Nur die Wege dorthin sind umstritten. Baden-Württemberg beispielsweise will für Maßnahmen der Dopingbekämpfung eine Trennung zwischen Berufssportler und Amateur. Aber da frage ich: Wo ist denn die Grenzlinie?

Über die Notwendigkeit eines eigenen Anti-Doping-Gesetzes wird hart gerungen, ein übergreifendes Gesetz gegen Manipulationen im Sport, das die Straftatbestände Dopingbetrug und Wettbetrug beinhaltet, hat die neue Regierungskoalition auf ihrer Agenda. Welche Position hat der DOSB?
Krämer: Das meiste steht ohnehin schon im Arzneimittelgesetz. Hätte man vor zehn oder zwölf Jahren alle diese Elemente zusammengefasst und unter dem Titel Anti-Doping-Gesetz zusammengeschrieben, dann hätte sich keiner aufgeregt. Wichtig ist, dass das Prinzip der Beweislastumkehr erhalten bleibt, weil die Sportgerichtsbarkeit wesentlich schneller entscheiden kann als ein Strafrichter. Bei einer positiven Probe muss der Sportler beweisen, dass er unschuldig ist, sonst ist er gesperrt. Das Strafrecht stößt schon beim Tatbestand der Besitzstrafbarkeit an seine Grenzen. Denn was ist bei Blutdoping?

An welcher Schraube ist die Dopingbekämpfung zu verbessern?
Krämer: Die entscheidende Frage ist, welche intelligenten Methoden entwickelt die Wissenschaft, um Betrüger zu erwischen. Wir müssen dazu kommen, dass die Sportler wirklich Angst haben zu dopen. Aber eins ist auch klar: Ganz lösen können wir das Problem leider nie.

Ein schöneres Thema: Handball. Sie waren lange beim VfL Gummersbach engagiert.
Krämer: Das ist jetzt schon sechs Jahre her. Ich bin da raus.

Der Versuch, den VfL in Köln heimisch zu machen, ist gescheitert. Warum?
Krämer: Das war auch der richtige Weg, wie bei den Rhein Neckar Löwen in Mannheim, in Berlin, Hamburg und Flensburg zu sehen ist.

Warum hat es in Köln nicht geklappt?
Krämer: Meine Kraft hat zwar gereicht, um in fünf Jahren 15 Millionen Euro an Sponsorengeldern zu bringen, aber nicht dazu, um – salopp gesagt – zu verhindern, dass der VfL von Gummersbachern wieder hinter die sieben Berge zu den sieben Zwergen gebracht worden ist.

Wie meinen Sie das?
Krämer: Auch mit der neuen 4000-Zuschauer-Halle komme ich nicht über den zehnten Tabellenplatz hinaus. Ich habe immer die Philosophie vertreten, der VfL Gummersbach gehöre als einst erfolgreichster Verein der Welt ganz in die Spitze. Entweder Weltklasse – oder ab in die Kreisklasse. Der VfL Gummersbach als graue Maus ist für mich undenkbar.

Also weniger ein Problem Kölns als das des Vereins VfL Gummersbach?
Krämer: Eindeutig ja.

In Köln wäre durchaus Platz neben Fußball und Eishockey…
Krämer: Ich glaube, ja. Sie haben eine ähnliche Situation in Hamburg oder in Mannheim mit Hoffenheim im Fußball, Adler Mannheim im Eishockey und den Löwen im Handball. Natürlich geht das. Man muss nur einen langen Atem haben. Sie sehen doch: Köln ist die Hauptstadt des Handballs, wenn das Final Four der Champions League gastiert. Das war 2013 zum fünften Mal in der Arena, an zwei Tagen mit 40 000 Zuschauern ausverkauft. Das gibt es sonst nirgends. Köln ist seit der WM 2007, international betrachtet, der Handball-Tempel.

Also gehört nach Köln eine Handball-Spitzenteam?
Krämer: Dazu braucht man sehr viel Geld. Mit dem Namen VfL Gummersbach wäre es eine Riesenchance gewesen.

Der Handball wandert bis auf wenige Biotope weiter in die großen Städte, richtig?
Krämer: Schauen Sie sich doch die Top Fünf der Bundesliga an: Die haben alle Hallen von 8000 Zuschauern aufwärts mit den notwendigen Rahmenbedingungen für die Sponsoren.

Kann man das Geschehene unter der Überschrift Provinzialität zusammenfassen?
Krämer: Es war die Angst, dass es finanziell schief gehen konnte, verbunden mit der Furcht einiger: Die nehmen uns unser Vereinchen weg. Göppingen ist vergleichbar, die hatten auch nicht den Mut, nach Stuttgart zu gehen.

Thema Zukunft: Als Dachverband gibt der DOSB die Philosophie im deutschen Sport vor. Wie findet der organisierte Sport die richtige Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen, wie beispielsweise Bewegungsarmut und verkürzte Schulzeit?
Krämer: Wir werden im nächsten Jahr eine nachhaltige Imagekampagne starten. Daran haben wir jetzt eineinhalb Jahre gearbeitet. Sie wird sich nicht auf das Aufhängen von ein paar Plakaten beschränken. Wir haben Professor Brandmeyer, den Marken-Papst dieser Welt, mit einer Markenkern-Analyse beauftragt. Wir wissen inzwischen genau, was die Leute in die Vereine bringt.

Was denn?
Krämer: Weniger die Gesundheit und die Schönheit, sondern der Spaß am Sport. Wir werden eine Markenbereinigung vornehmen. Dazu gehört ein neues Logo, das wir in Kürze präsentieren.

Mit „Splink“ sind sie bereits in den sozialen Netzwerken vertreten. Aber wer kennt die Plattform?
Krämer: Da haben Sie Recht, sie ist noch nicht bekannt genug. Auch daran müssen wir arbeiten.

Welcher Mittel wollen Sie sich bedienen, etwa der Fernsehwerbung?
Krämer: Nein, das müssen wir intelligent und witzig machen. Facebook und andere soziale Netzwerke werden wir dafür nutzen.

Welche Zielsetzung liegt dieser Charmeoffensive zugrunde?
Krämer: Wir möchten die Politik, die Wirtschaft und die Öffentlichkeit mit einer ganz anderen Wahrnehmung des Sports konfrontieren. Die größte Motivation für Menschen zum Sport ist der Spaß und das Mitreden-Können. Das müssen wir mit ganz anderen Bildern und Worten zeigen als wir das bisher im Funktionärsdeutsch getan haben.

Vervollständigen Sie zum Abschluss bitte: Die nächsten Olympischen Spiele hat Deutschland im Jahr ...
Krämer: Da sage ich lieber nichts.

Wenn Sie es sich wünschen könnten?
Krämer: 2022 hätte ich mir gewünscht. Aber um 2030 herum – damit Sie mich nicht auf Winter- oder Sommerspiele festlegen – könnte es so weit sein.

Und noch ein Satz: Thomas Bach als IOC-Chef ist gut für den deutschen Sport, weil ...
Krämer: ... ich keinen anderen Menschen kenne, der sich so stark im Sport engagiert hat und sowohl die nationalen wie auch internationalen Verhältnisse so gut kennt wie er.

Zur Person

Hans-Peter Krämer (72) ist ein Hansdampf in vielen Gassen. Er ist unter anderem Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe und Übergangspräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. In seiner Jugend spielte er Feldhandball, vor einigen Jahren versuchte er, den VfL Gummersbach in Köln zu etablieren. Bis zu seiner Pensionierung 2006 war er Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Köln. Krämer wurde in Kiel geboren und wohnt heute zwischen Köln und Bonn in Brühl.

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