Interview Günter Wallraff: "Ich würde Snowden verstecken"

Enthüllungsjournalist Günter Wallraff spricht im General-Anzeiger-Interview über das Leben als Getriebener und die Späh-Affäre.

Edward Snowden und Bradley Manning - zwei Namen, die für Enthüllung stehen. In Deutschland steht Günter Wallraff wie kein anderer für dieses Genre. Kaum einer weiß daher besser, wie es sich als Getriebener anfühlt, als einer, der untertaucht und mit neuen, heiklen Informationen wieder auftaucht. Er spricht über die NSA-Affäre, die Folgen der Enthüllung und die Parallelen zu seiner eigenen Geschichte.

Die Welt stellt sich die Frage: Was ist Snowden eigentlich - ein Held oder ein Schurke? Wie würden Sie diese beantworten?
Günter Wallraff: Für mich sind Snowden oder auch Wikileaks-Informant Bradley Manning Hoffnungsträger, Freiheitshelden der neuen Generation. Hinter ihnen steht zwar nicht eine geschlossene Bürgerrechtsbewegung, nicht das Charisma oder eine einzigartige Biographie wie bei Martin Luther King, doch für mich geht es in eine ähnliche Richtung. Diese modernen Helden folgten als ungeschützte Einzelne ihrem Gewissen und nehmen Verfolgung und Widrigkeiten der schlimmsten Art in Kauf. Ich habe davor den größten Respekt. Aber es ist kein Zufall, dass Snowden und Manning Amerikaner sind.

Wie meinen Sie das?
Wallraff: Diese Menschenrechtsradikalität ist in der amerikanischen Geschichte tief verwurzelt, das hat Tradition. Das ist das andere Amerika, und die beiden sind Vertreter dieses Amerikas. Was ich mich noch frage: Ist Snowden da bewusst reingegangen, um es aufzudecken oder hat ihn sein Gewissen dazu gebracht, auszusteigen? Beides wäre ehrenwert. Auch, weil er es ohne vorherige Absicherung getan hat. Bei ihm sehe ich hingegen auch die Tragik.

Die da wäre?
Wallraff: Er musste ausgerechnet in Russland Asyl beantragen. In einem Land, das selbst die Freiheitsrechte mit Füßen tritt, das Bürgerrechtler einsperrt und eine unbeugsame Journalistin Anna Politkowskaja sogar ermorden ließ. Und wo nun Putin diesen Joker politisch ausspielt. Snowden wird da zum Spielball. Das wird überhaupt nicht in seinem Sinne sein.

Sie haben schon mehrfach politisch verfolgte Personen aufgenommen. So etwa auch den britischen Schriftsteller Salman Rushdie. Hätten Sie auch Snowden versteckt?
Wallraff: Selbstverständlich. Es wäre mir eine Ehre. Ich halte es da mit meinem väterlichen Freund Heinrich Böll, für den ein Freund dann glaubwürdig war, wenn er ihn in der Not verstecken würde. Deshalb sehe ich die Rolle der Bundesregierung so kritisch. Es würde einem Land wie Deutschland, das eine Vergangenheit hat, in der nur sehr wenige Menschen ihrem Gewissen folgten und den Mut aufbrachten, Juden zu verstecken, gut anstehen, Snowden Asyl zu gewähren. Das mag zwar utopisch klingen, aber man müsste ihn wenigstens schon aus eigenem Staatsinteresse in ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung würde dies befürworten. Davon bin ich überzeugt.

Und doch drängt sich der Eindruck auf, Snowden erhält selbst aus der Bevölkerung wenig aktive Unterstützung?
Wallraff: Die Menschen sehen ihn zwar als Verfolgten und als Jemanden, dem Unrecht angetan wird. Doch gleichzeitig lassen sie sich ihr liebstes Spielzeug nicht madig machen, geschweige denn wegnehmen: Facebook, Twitter, Apple und Google. Firmen also, auf deren Daten die NSA Zugriff hat. Wir verdrängen, dass wir im Zeitalter des gläsernen Menschen angekommen sind. Den meisten fehlt es an Wissen und Aufklärung, an Souveränität und Bürgersinn. Das geht einher mit der immer weiter sinkenden Wahlbeteiligung. Das ist Selbstentmündigung und politischer Infantilismus.

Was hat Snowden mit seiner Enthüllung konkret verändert?
Wallraff: Snowden hat ein Bewusstsein geschärft. In der breiten Bevölkerung ist das Internet und dessen unkritische Nutzung doch leider gar nicht als Bedrohung angesehen worden. Selbst Warner und Experten haben sich nicht vorstellen können, wie flächendeckend die Abschöpfung des Internetgebrauchs ist. Der einzelne Mensch wird per se in Vorverdacht genommen - und man kann ihm, wenn es gerade nützlich erscheint, damit schaden. Kein Mensch ist unfehlbar, fast jeden könnte man so zur Strecke bringen. Das ist bedrohlich. Doch was noch viel schlimmer ist: Der Einzelne ist manipulierbar. Man kann ihn einbinden, sein Konsumverhalten und sogar seine Sehnsüchte kontrollieren und beeinflussen. Die Diktaturen haben mit gröberen Mitteln wie etwa Straflagern die Leute auf Linie gebracht, doch diese Methode ist eine heimtückischere und vor allem unsichtbare Gewalt.

Sie sahen sich ebenfalls jahrzehntelang mit Kritik an Ihren Methoden konfrontiert.
Wallraff: Nach meinen Enthüllungsbüchern über die Bild-Zeitung hat vor allem die Springer-Presse bis in die 80er Jahre eine gezielte Stimmungsmache und Rufmordkampagne gegen mich betrieben. Da spuckten Leute vor mir aus. Zu meiner Mutter sagte allenfalls mal eine mitfühlende Nachbarin: "Nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen. Die Eltern von Baader und Ensslin können ja auch nichts für die Taten ihrer Kinder."

Herr Wallraff, sind auch Sie ein Getriebener?
Wallraff: Ja, das befürchte ich. Dann möchte ich manchmal nicht mit mir tauschen. Jeden Tag erreichen mich neue Fälle von grausamen Arbeitsbedingungen. Hier und da schalte ich mich ein. Solange die Kräfte reichen, fühle ich mich verpflichtet.

Haben Sie jemals persönlich abgewogen zwischen dem Grad der Enthüllung und dem Risiko Schaden zu nehmen?
Wallraff: Wenn ich in einer Rolle drin bin, dann bin ich fast identisch. Dann träume ich manchmal nachts in der neuen Identität. Es gab oft die Situation, in der ich dachte: Mensch, muss ich mir das antun. Aber es wäre feige, fast schon Verrat, wenn ich an einem Punkt, an dem es ungemütlich wird, aussteige: Meine Kollegen dort sind nicht privilegiert, die können da nicht raus und müssen das über Jahre aushalten.

Zur Person

Günter Wallraff ist am 1. Oktober 1942 in Burscheid geboren. Nach einer Buchhändlerlehre und Jahren als Arbeiter in diversen Großbetrieben widmete er sich dem Journalismus. Als Enthüllungsautor machte er sich einen Namen, veröffentlichte unzählige Bücher - viele davon wurden Bestseller. Er war mit der Nichte von Heinrich Böll verheiratet, die früh gestorben ist. Heute arbeitet er in Köln, ist wieder verheiratet und hat fünf Töchter. Er zieht sich regelmäßig auf das Anwesen seiner Töchter, den Fronhof in Unkel, zurück.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort