Eberhard Greiser: "Wir haben ausschließlich objektive Faktoren"

Bremer Professor spricht über Ergebnisse seiner Untersuchung zum Zusammenhang zwischen nächtlichem Fluglärm und Arzneimittelverordnungen

Region. Mit unverminderter Intensität werden in der Region um den Köln/Bonner Flughafen die Themen Fluglärm und Nachtflugverbot diskutiert. Jüngst legte der Bremer Professor Eberhard Greiser als Projektleiter das Ergebnis der epidemiologischen Studie zum möglichen Zusammenhang zwischen nächtlichem Fluglärm und Arzneiverordnungen durch niedergelassene Ärzte in Köln, Rheinisch-Bergischem-Kreis und Rhein-Sieg-Kreis vor.

Die "Ärzteinitiative für ungestörten Schlaf e.V." mit der Vorsitzenden Dr. Gerda Noppeney und Vizevorsitzendem Arno Lange sieht ihr Engagement gegen Fluglärm dadurch bestätigt. Mit Greiser, Noppeney und Lange sprach Jörg Manhold.

General-Anzeiger: Macht nächtlicher Fluglärm krank?

Eberhard Greiser: Sehr wahrscheinlich! Wir haben für verschiedene Arzneimittel gefunden, dass sie häufiger verordnet werden. Dabei stehen wir mit unseren Ergebnissen nicht allein, man muss das im Kontext anderer Studien sehen. Wir haben den biologischen Gradienten gefunden, dass mit zunehmendem Fluglärm mehr Patienten Medikamente zur Behandlung des Bluthochdrucks bekommen müssen.

Und wenn sie die bekommen müssen, dann brauchen sie auch eine höhere Dosis als Patienten, die nicht unter Fluglärmbedingungen leben. Wir haben damit für unsere Argumentation eine sehr gute Basis. Wir können allerdings damit nicht den letzten Beweis führen.

Gerda Noppeney: Der kausale Zusammenhang von Bluthochdruck und Lärmstress ist bereits wissenschaftlich gesichert, so dass die jetzige Studie diese Erkenntnisse durch ihre hohe Fallzahl erhärtet.

GA: Was zeigt Ihre epidemiologische Studie zu Arzneimittelverordnungen im Einzelnen?

Greiser: Wir konnten zeigen, dass die Verschreibung von Medikamenten mit der Intensität nächtlichen Fluglärms zunimmt für Bluthochdrucksenker, Herz-Kreislauf-Medikamente, Beruhigungs- und Schlafmittel und Mittel zur Behandlung von Depressionen. Wir haben auch die Magen- und Darmerkrankungen untersucht, dort gab es aber keine signifikanten Ergebnisse.

GA: Wenn es bereits Studien zum Zusammenhang von Lärm und Krankheit mit hoher Aussagekraft insbesondere für den Bluthochdruck gegeben hat, warum war Ihre Untersuchung nötig?

Greiser: Weil es sich um ein politisches Thema handelt. Wir wollten zeigen, dass die anderweitigen Ergebnisse der Lärmforschung grundsätzlich auf den nächtlichen Fluglärm übertragbar sind.

Außerdem ging es um die spezifische Problemstellung. Der Köln/Bonner Flughafen hat eine uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis mit zwei Perioden, in denen besonders viele Flugzeuge fliegen: zwischen 23 und ein Uhr und zwischen drei und fünf Uhr.

GA: Was sind die Ergebnisse der Untersuchungen?

Greiser: In diesen Zeitfenstern tut sich ganz besonders was. Wir haben zeigen können, dass der Lärm zwischen drei und fünf Uhr die stärksten Effekte hat. Das ist klinisch plausibel und entspricht einer alten Erfahrung.

Wenn man in der Traumschlafphase gestört wird, ist die Nacht gelaufen. Dann taugt der Schlaf der ganzen Nacht nichts. Und wir haben gefunden, dass das Risiko einer Beeinträchtigung durch Fluglärm desto stärker ist, je mehr Vorerkrankungen vorhanden sind.

GA: Was schließen Sie daraus?

Greiser: Wir haben eine ganze Reihe von Befunden, die außerordentlich plausibel in unsere Ausgangsvermutung hineinpassen, dass Fluglärm ein starker Risikofaktor ist.

Arno Lange: Es ist damit äußerst wahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Fluglärm und Krankheit gibt. Formal gesehen fehlt jetzt nur noch das letzte i-Tüpfelchen einer Fallkontrollstudie, um den letzten Beweis anzutreten. Allerdings, wenn wir diese hohen Maßstäbe überall in der Medizin anwenden würden, dann hätten wir für viele Krankheiten keine Therapien.

GA: Haben Sie weitere Medikamente untersucht?

Greiser: Wir haben auch die Verschreibung von Krebsmitteln untersucht und auch dort eine Häufung festgestellt. Wir wollten untersuchen, inwieweit es sich bei unseren Ergebnissen um unspezifische Effekte handeln könnte. Also, ob Lärm direkt als Auslöser zu gelten hat, oder ob er als Anlass für Stress insgesamt wirkt.

Denn Stress schwächt das Immunsystem und begünstigt damit Krankheiten. Insofern kann man zurzeit nicht sagen, dass Lärm direkt Krebs auslöst. Aber an dieser Stelle müssten noch weitere Untersuchungen folgen, um genaueres sagen zu können.

GA: Wie aussagekräftig sind ihre Untersuchungsergebnisse in Bezug auf die Behandlung von Bluthochdruck, Herzkreislauferkrankungen, Schlafstörungen und Depressionen?

Greiser: Im Vergleich zu einer Befragungsstudie ist die Untersuchung extrem valide, weil wir ausschließlich objektive Faktoren haben. Die Studie umfasst nicht nur eine kleine Stichprobe, sondern mehr als 43 Prozent der Bevölkerung in dem Einzugsgebiet, das sind 809 000 Versicherte.

GA: Sie streben nun eine Folgestudie an. Wofür?

Greiser: Wir als Epidemiologen haben gerne so genannte harte Endpunkte, um eine Aussage zu machen. Das wären in dem Fall Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebserkrankung. Deshalb ist der nächste Schritt festzustellen, welche der Versicherten stationär behandelt worden sind.

Das würde die Aussagekraft unserer Ergebnisse verbessern und wäre ein weiterer Baustein, den kausalen Zusammenhang zwischen nächtlichem Fluglärm und Krankheit nachzuweisen. Der Antrag beim Bundesumweltamt ist gestellt.

GA: Was muss Ihrer Meinung nach im Zusammenhang mit Fluglärm politisch getan werden?

Lange: Wir fordern ein Nachtflugverbot wenigstens von null bis sechs Uhr. Wir fordern aktiven Lärmschutz und nicht nur passiven durch Finanzierung von Schallschutzfenstern.

Noppeney: Wir haben den Untersuchungsbericht an das Europaparlament weitergegeben und suchen das Gespräch mit Landespolitikern.

Zur Person

Professor Eberhard Greiser, 1938 in München geboren, studierte in Hamburg und Berlin Medizin. 1975 Habilitation für Epidemiologie und medizinische Statistik an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Zuletzt war er Direktor des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin sowie Direktor des Bremer Krebsregisters. Seit März 2004 emeritiert. Jetzt Mitglied des Instituts für Public Health der Uni Bremen und wissenschaftlicher Leiter der Epi.Consult GmbH.

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