Wolfgang Maier im Interview "Die Selbsteinweisung nimmt zu"

BONN · Medizinprofessor Wolfgang Maier zu Wartezeiten bei psychischen Erkrankungen. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn.

 "Mehr Geld muss es geben": Wolfgang Maier.

"Mehr Geld muss es geben": Wolfgang Maier.

Foto: Privat

Suchen heute mehr Patienten als früher bei der Bonner Uniklinik um eine Psychotherapie nach?
Wolfgang Maier: Es kommen deutlich mehr Menschen zu uns. Psychische Erkrankungen werden kaum häufiger, aber die Bereitschaft ist deutlich größer, zum Arzt oder Psychotherapeuten zu gehen. Das ist auch das Ergebnis einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts. Die Selbsteinweisung nimmt deutlich zu.

Wie lange warten die Patienten im Durchschnitt bei Ihnen?
Maier: Wer sich in der Notaufnahme meldet oder dort eingewiesen wird, wird sofort behandelt, unter Umständen auch gleich stationär aufgenommen. Besteht keine akute Gefahr, findet eine ambulante erste Kontaktaufnahme mit einem Psychotherapeuten oder Arzt normalerweise binnen weniger Tage statt. Bis zum Beginn einer abgestimmten Therapie kann es allerdings mehrere Monate dauern.

Tragen zu dem Ansturm auch berufsbedingte Krankheiten wie Burnout-Depressionen durch Erschöpfung bei?
Maier: Bei den beruflichen Fehlzeiten ist tatsächlich eine starke Zunahme psychischer Erkrankungen festzustellen. Wir haben das Phänomen, dass in Deutschland die Arbeitsunfähigkeit auf einem Tiefststand liegt, der Anteil psychischer Ursachen daran aber auf Höchststand.

Woran liegt das, wenn es insgesamt nicht mehr psychische Erkrankungen gibt?
Maier: Das liegt sicher auch an den Diagnosen, dort sind zusätzliche Bezeichnungen für psychische Störungen hinzugekommen. Das ist früher nicht so beachtet worden. Das war dann zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall, die psychische Dimension wurde nicht wahrgenommen.

Wird Burnout überschätzt?
Maier: Nein, die psychischen Belastungen durch Arbeit sind tatsächlich vielfach hoch. Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen, Bereiche der Regeneration werden kleiner, wenn der Laptop mit in die Ferien reist. Die Arbeitsverdichtung nimmt zu, die Arbeitsanforderungen steigen.

Was muss passieren, damit sich die Situation wieder entspannt? Mehr Geld, mehr Psychotherapeutenstellen?
Maier: Wichtig ist vor allem, stärker an die Patienten und nicht so sehr an die einzelnen Berufsgruppen zu denken. Mehr Geld muss es geben, keine Frage, aber vor allem zunächst für die Versorgung schwer psychisch Kranker in der stationären Behandlung. Da der Bedarf an Psychotherapie stark wächst, müssen aber auch hier mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort