Interview mit Bundesministerin Manuela Schwesig Manuela Schwesig: "Die Entlastung muss bei allen ankommen"

BONN · Manuela Schwesig will sich ihren Optimismus nicht nehmen lassen. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kämpft für die Frauenquote, für unverheiratete Paare mit Kindern, für Alleinerziehende und für Flüchtlinge. Mit Schwesig sprachen Ulrich Lüke, Helge Matthiesen und Raimund Neuss.

 "Genug Platz und Kapazitäten für Flüchtlinge": Manuela Schwesig im Interview.

"Genug Platz und Kapazitäten für Flüchtlinge": Manuela Schwesig im Interview.

Foto: Bernd Rosenbaum

Ganz persönlich: Hätten Sie gern mal eine 32-Stunden-Woche?
Manuela Schwesig: Meine Aufgabe ist es nicht, Familienpolitik für mich zu machen. Die Idee der 32-Stunden-Woche ist im Übrigen nicht, dass die Menschen weniger arbeiten, sondern dass die Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen fairer verteilt werden kann. Da geht auch der Trend bei den jungen Paaren hin.

Sie sind mit diesem Vorschlag gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit bei der Kanzlerin angeeckt. Jetzt hat ihn sich Ihr Parteivorsitzender zu eigen gemacht. Freut Sie das?
Schwesig: Die Reaktion der Kanzlerin hat mich nicht überrascht. Es ist typisch in der Politik, dass ein neuer Vorschlag erstmal so kommentiert wird: Nein, geht nicht, kann nicht, will nicht. Das Reaktionsmuster ist bekannt. Das war bei der Frauenquote so, das war beim Mindestlohn so. Und wenn sich dann der Nebel lichtet, guckt man klarer drauf. Dieses Modell, dass beide 32 Stunden arbeiten und nicht er 40 und sie gar nicht, bedeutet ja eigentlich mehr Arbeitszeit und mehr Einkommen. Also: Es freut mich, dass der Parteivorsitzende das unterstützt.

Aber kann der Staat die Arbeitszeit regeln?
Schwesig: Der Staat kann nicht alles regulieren und er sollte es auch nicht. Wir wollen den Paaren ja nichts vorschreiben. Aber wir können unterstützen und Anreize schaffen. Das geht über die Infrastruktur, über Ganztags-Kitas und Ganztags-Schulen, das geht aber auch über die Zeitstruktur. Das Elterngeld Plus, das jene unterstützt, die während der Elternzeit wieder früher in den Job einsteigen möchten und Teilzeit arbeiten, ist so ein Schritt.

Überfordert das alles nicht die Unternehmen?
Schwesig: Nein. Die Frage ist: Was ist die Alternative für Unternehmen, gerade auch im Hinblick auf Fachkräfte. Dass alles so bleibt, wie es ist? Es sind ja schon die Männer beruflich alle an Bord - das Fachkräftepotenzial liegt auch aus Unternehmenssicht bei den Frauen. Wir suchen also eine neue Balance zwischen Beruf und Familie.

Was heißt das, die Familienpolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen, wie Sie und Sigmar Gabriel das wollen?
Schwesig: Das heutige Steuerrecht geht an vielen Familien vorbei und wird deshalb als ungerecht empfunden. Wir haben viele Paare mit Kindern, aber ohne Trauschein, die nicht vom Ehegattensplitting profitieren. Das sind über drei Millionen. Wir haben die Alleinerziehenden, die bisher gegenüber Paaren benachteiligt waren. Da haben wir in der vergangenen Woche mit der Einigung auf eine Erhöhung des Entlastungsbetrags einen großen Fortschritt erzielt. Das Steuerrecht muss so gestaltet werden, dass es bei den unterschiedlichen Familienformen ankommt. Die Entlastung muss bei allen ankommen, die sich für Kinder entscheiden. Es darf nicht so bleiben, dass die Familien am meisten profitieren, die am meisten Geld haben.

Sind Sie also für ein Familiensplitting und für die Abschaffung des Ehegattensplittings?
Schwesig: Man muss das Ehegattensplitting weiterentwickeln: nicht die Ehe allein bevorteilen, sondern alle Familien, die Kinder haben. Man muss aber auch ehrlich einräumen, dass es derzeit noch kein überzeugendes Modell gibt. Daran muss gearbeitet werden - auch über die Legislaturperiode hinaus.

Ist steuerliche Förderung nicht generell Förderung der Besserverdienenden?
Schwesig: Ich profitiere von Freibeträgen als Ministerin mehr als meine alleinerziehende Freundin. Alleinerziehende sind vom Steuerrecht generell schlechter gestellt als Paare. Es geht dabei nicht nur um den einzelnen Euro, es geht auch um Anerkennung und Wertschätzung, zum Beispiel für die zwei Millionen Alleinerziehenden in Deutschland. Das sind keine Familien zweiter Klasse.

Bleiben wir bei Familie, Beruf und Geld. Ist das Betreuungsgeld aus Ihrer Sicht verfassungskonform?
Schwesig: Darüber entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Meine kritische Position zu dem Thema ist bekannt, aber jetzt warte ich das Urteil ab.

Freuen Sie sich schon darauf, die Steuermittel, die bisher fürs Betreuungsgeld ausgegeben werden, anders einsetzen zu können, wenn Karlsruhe die Regelung kippt?
Schwesig: Solche Spekulationen bringen zum jetzigen Zeitpunkt nichts.

Aber Sie werden doch Wünsche haben. Bringen wir die gute Fee ins Spiel...
Schwesig: Erstmal muss man anerkennen, dass wir schon eine ganze Menge gemacht haben. Für den Ausbau von Kitas, beim Elterngeld Plus. Und ein Familienpaket, das seinen Namen verdient - etwa durch den höheren Kinderzuschlag. Da ist also eine ganze Menge auf den Weg gebracht, aber dennoch gibt es noch große Baustellen. Eine ist der Ganztagsausbau von Kitas und Schulen, eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern. NRW beispielsweise hat seinen Kita-Etat verdoppelt in den vergangenen Jahren, dennoch gibt es weitere berechtigte Wünsche.

Was sagen die Kommunen zu alldem?
Schwesig: Die sehen die Notwendigkeiten, aber wollen, dass sie sie nicht allein bezahlen müssen. Deshalb entlasten wir sie. Beispielweise durch zusätzliche Mittel für Flüchtlinge, damit die Kommunen nicht andere Aufgaben, etwa im Kita-Bereich, vernachlässigen müssen.

Gibt es nicht Grenzen staatlicher Regelbarkeit? Etwa bei der Lohngerechtigkeit zwischen Mann und Frau? Kann ein Gesetz, wie Sie es planen, so etwas bewirken?
Schwesig: Niemand glaubt, dass man ein gesellschaftliches Thema allein mit einem Gesetz lösen kann. Aber Gesetze können ein Problembewusstsein und Anreize schaffen. Darum ging es ja auch in der Debatte um die Frauenquote. Die Wirkung eines solchen Gesetzes geht weit über die Führungsetagen hinaus.

Auch bei der Lohngerechtigkeit?
Schwesig: Da geht es mir darum, dass große Unternehmen sich die Frage stellen, warum es bei ihnen überhaupt eine solche Lohnlücke gibt. Und es erhöht auch den Druck auf den "Arbeitgeber" Staat.

Was soll das neue Gesetz denn konkret regeln?
Schwesig: Es soll Informationsrechte stärken, damit die Betroffenen nachweisen können, dass sie ungleich behandelt werden. Es gibt, auch wenn manche Leute es nicht glauben wollen, immer noch Firmen, die zahlen nur deshalb einen Euro pro Stunde weniger, weil man eine Frau ist. Birkenstock war so ein Fall. Die Frage ist also: Wie komme ich an Informationen? Da soll nicht jeder seinen Lohnzettel offenlegen, aber die Unternehmen sollen angeben, wie die Beschäftigen eingestuft sind, nach welchen Kriterien. Mein Ziel ist eine Debatte in den Unternehmen, nicht der Klageweg. Es gibt bereits Unternehmen, die das von sich aus überprüfen.

Wenn Sie gesetzgeberische Arbeit als gesellschaftlichen Impuls verstehen, brauchen wir dann ein "Flüchtlingsbegrüßungsgesetz" Schwesig: Die Politik ist gefordert, die nötige Unterstützung zu geben. Da sehe ich noch Schwachstellen. Da müssen wir auch als Bund noch mehr leisten. Es gibt im Vergleich zu den 90er Jahren mehr Menschen, die helfen wollen. Aber diese Bürger haben zu Recht die Erwartung, dass es auch klappen muss, wenn man mehr Flüchtlinge aufnimmt. Wenn sie aber sehen, dass die Kommunen damit überfordert sind, dass die Schule für die Kinder nicht mehr saniert wird, dann ist das sozialer Sprengstoff. Deshalb hat Sigmar Gabriel Recht, dass die Kostenfrage jetzt schnell geklärt wird. Und übrigens auch, dass die Kommunen bei der Hilfe für minderjährige Flüchtlinge besser unterstützt werden. Das Problem konzentriert sich zu sehr in großen Städten wie Köln. Wir müssen bei dem Gesamtthema gute Rahmenbedingungen setzen.

Kann Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnehmen?
Schwesig: Deutschland hat genug Platz und Kapazitäten für Flüchtlinge. Das können aber nicht nur ein paar Kommunen stemmen, sondern die Verantwortung muss geteilt werden. Mit meinem neuen Programm "Willkommen bei Freunden" möchte ich die Kommunen besser unterstützen.

Steigt in Ihnen heiliger Zorn auf, wenn Sie in diesem Zusammenhang das Treiben der immer noch nicht verbotenen NPD betrachten? Schwesig: Ja, natürlich. Ich bin eine starke Verfechterin des NPD-Verbots. Ich habe nicht die Illusion, dass damit rechtsextremes Gedankengut aus den Köpfen geht. Aber es ist nicht erklärbar, warum die NPD noch mit Steuergeldern unterstützt wird. Die Flüchtlinge werden von der NPD als Blitzableiter benutzt, um Frust weiter zu schüren. Da muss man klare Kante ziehen.

Warum profitiert die SPD nicht von ihrer Regierungsarbeit, zum Beispiel bei Frauen?
Schwesig: Die Kompetenzwerte, etwa bei meinen Themen, sind bei der SPD und im vergangenen Jahr enorm gestiegen. Ehe sich das in Wählerstimmen umsetzt, braucht es eine lange Strecke. Wir haben die richtigen Themen. Es gibt für die SPD jetzt, Anfang 2015, überhaupt keinen Grund, ständig auf die Sonntagsumfrage zu schauen und sich verunsichern zu lassen. Wir sind das moderne und soziale Gesicht der Bundesregierung. Wir sollten uns unseren Optimismus nicht nehmen lassen.

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