Interview mit Michael Heneka Der Alzheimer-Experte über Ursachen und mögliche Heilmittel bei Demenz

BONN · Rund 1,4 Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Demenz - Tendenz steigend. Ein Heilmittel gibt es nicht. Mit dem Bonner Alzheimer-Experten Michael Heneka sprach Johanna Heinz über Ursachen und mögliche Therapien.

 Neurowissenschaftler Michael Heneka (geboren 1967) ist Professor für Medizin an der Universität Bonn. Er leitet das interdisziplinäre Klinische Behandlungs- und Forschungszentrum für neurodegenerative Erkrankungen (KBFZ) an der Uniklinik Bonn und erforscht die Grundlagen von Alzheimer.

Neurowissenschaftler Michael Heneka (geboren 1967) ist Professor für Medizin an der Universität Bonn. Er leitet das interdisziplinäre Klinische Behandlungs- und Forschungszentrum für neurodegenerative Erkrankungen (KBFZ) an der Uniklinik Bonn und erforscht die Grundlagen von Alzheimer.

Foto: Privat

Zehn Jahre litt Walter Jens unter Demenz. Ist eine solch lange Leidensphase üblich?
Michael Heneka: Bei uns in Deutschland ja. Patienten sterben im Schnitt zehn bis elf Jahre nach der Diagnose. Das ist aber auch der relativ guten Versorgung in den westlichen Ländern geschuldet.

Was sind die Symptome?
Heneka: Es beginnt mit Störungen des Kurzzeitgedächtnisses - die Betroffenen verlegen ihren Geldbeutel, sie wiederholen Gespräche, die sie gerade erst geführt haben, und vergessen, was sie gerade gegessen haben. Mit der Zeit sind dann auch andere kognitive Prozesse beeinträchtigt: Sprache, Lesen, Schreiben, Orientierung und Langzeitgedächtnis.

Wie erleben die Betroffenen die Krankheit?
Heneka: Am Anfang ist der Tagesablauf nur wenig eingeschränkt. Nach und nach geht aber die Selbstständigkeit verloren, bis hin zur Mobilität und der eigenständigen Ernährung. Was in der letzten Phase in den Patienten vorgeht, wenn sie nicht mehr mit anderen kommunizieren können, ist schwer einzuschätzen. Die Patientin, an der Alois Alzheimer Anfang des 20. Jahrhunderts forschte, sagte einmal: "Ich habe mich selbst verloren." Diesen Satz habe auch ich mehrfach von Patienten gehört. Das deutet darauf hin, dass im Endstadium auch die Emotionalität ein Stück weit verloren geht. Davor ist das Erleben der eigenen Defizite da, was oft zu einer Depression führt.

Was passiert im Gehirn?
Heneka: Wir wissen, dass sich schon Jahrzehnte vor der Diagnose fehlgefaltete Proteine im Gehirn ablagern, die normalerweise ständig gebildet, aber auch abtransportiert werden. Diese Ablagerung führt dazu, dass Nervenzellen geschädigt werden. Auch eine Entzündung tritt auf.

Ist bekannt, wodurch dieser Prozess angestoßen wird?
Heneka: Bisher gibt es nur Vermutungen. Bei Fällen von familiärem Alzheimer sorgen Gen-Mutationen dafür, dass zu viele Proteine gebildet werden. Bei den über 90 Prozent der nicht vererbten Demenz hingegen funktioniert die Müllabfuhr nicht mehr: Die Proteine werden nicht entsorgt.

Was können Mediziner tun?
Heneka: Es gibt eine Reihe von Dingen, von denen wir wissen, dass sie das Risiko einer Demenz-Erkrankung steigern. Dazu gehören Fettleibigkeit, Gehirnverletzungen, Bluthochdruck, aber auch mangelnde Bewegung - jemand, der den ganzen Tag im Büro sitzt und abends vor dem Fernseher. Dann weiß man, dass eine mediterrane Ernährung den Übergang in der Erkrankung verzögert, genauso körperliche Bewegung. Und es gibt Medikamente, die die Symptome für eine Zeit abschwächen können.

Die Faktoren haben viel mit dem heutigen Lebensstil zu tun. Steigt deshalb die Zahl der Betroffenen so stark?
Heneka: Ja, das ist meine persönliche Sicht. Das größte Risiko ist aber nach wie vor das Alter. Mit der Veränderung der Alterspyramide gibt es automatisch mehr Menschen mit Krankheiten wie Alzheimer.

Gibt es überhaupt Hoffnung auf ein Heilmittel?
Heneka: Davon bin ich absolut überzeugt. Demenz ist ein neurobiologisches Problem, eine Erkrankung, und für die wird es auch eine vorbeugende Therapie geben. Es ist eine Frage der Zeit. Ob es eine Heilung in dem Sinne geben wird, dass bereits Erkrankte wieder gesund werden, weiß ich allerdings nicht.

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