Alt-Nazis im Bundesjustizministerium Christoph Safferling: "Junge Leute fehlten"

Ob es eine Kontinuität der Denkweisen von Nazi-belasteten Mitarbeitern im Ministerium gab, erforscht Professor Christoph Safferling. Mit ihm sprach Margarita Erbach

 Auf ein umfassendes Bild der Personalsituation hofft Christoph Safferling.

Auf ein umfassendes Bild der Personalsituation hofft Christoph Safferling.

Foto: Uwe Niklas

Woran lag es, dass lange nach dem Krieg so viele Alt-Nazis im Bundesjustizministerium (BMJ) Gesetzesentwürfe schreiben durften?
Christoph Safferling: Nach dem Krieg mangelte es an Personal. Die Anzahl derer, die offensichtlich zur Verfügung standen und eine gewisse Ausbildung haben mussten, war sehr begrenzt. Junge ausgebildete Leute, die die Ämter entsprechend füllen konnten, fehlten. Deshalb hat man auf Personen mit einer gewissen Belastung zurückgegriffen.

Bis wann saßen die Nazi-Belasteten noch im BMJ?
Safferling: Das ist letztlich eine biologische Frage. Bis zu den Jahrgängen 1910/1912 gab es Leute, die in der NS-Zeit schon beruflich aktiv sein konnten. Diejenigen mit einer NS-Vorbelastung erreichten bis 1970 das Pensionierungsalter und schieden dann aus.

Gab es keine Alternativen bei der Besetzung der Ämter?
Safferling: Abschließend kann ich die Frage noch nicht beantworten. Justizminister Thomas Dehler und Staatssekretär Walter Strauß, beide Verfolgte des NS-Regimes, waren für die Einstellung verantwortlich. Gerade Strauß als Jude hat sich die Leute schon angeschaut und irgendwie intuitiv, aufgrund der Persönlichkeit, entschieden. NS-Belastungen hat er dann in gewissem Maße toleriert. Von Konrad Adenauer stammt ja der Satz: "Man schüttet das schmutzige Wasser erst dann weg, wenn man wieder frisches hat", und das beschreibt ganz gut die zeitlichen Probleme.

Wieso wurden nicht andere Juristen, diejenigen etwa, die vor den Nazis ins Ausland geflohen waren, nach dem Krieg für die Posten eingesetzt?
Safferling: Natürlich gab es eine gewisse Anzahl von Emigranten, die man hätte wieder zurückholen können, etwa den späteren Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Die Mehrzahl wollte aber vermutlich gar nicht zurück und hätte auch große Schwierigkeiten gehabt, in dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden. Sie wurden als Externe wahrgenommen, weil sie den Krieg nicht miterlebt haben und ihnen dieses verbindende Erlebnis fehlte. Ich glaube, das war nicht einfach.

Wie kam es, dass später Nazi-Ankläger wie Eduard Dreher unbehelligt im BMJ saßen, obwohl er Todesurteile beantragt hatte?
Safferling: In der Regel fanden Entnazifizierungsverfahren statt. Dreher wurde als Mitläufer eingestuft. Das war gerade so die Schwelle, dass jemand wieder aufgenommen werden konnte. Wenn man sich die Realität dieser Entnazifizierungskammern anschaut, dann war das keine wirkliche Hürde.

Welche Todesurteile hat Dreher im Dritten Reich beantragt?
Safferling: Dreher erweist sich als besonders hart: Für den Diebstahl von Stoffbahnen etwa beantragt er die Todesstrafe. Wenn diese nicht verhängt wird, ist er bereit, sie in der nächsten Instanz zu fordern. Daran kann man erkennen, dass hier jemand gewirkt hat, der hinter dem System stand.

Was ist Ziel der Aufarbeitung?
Safferling: Wir wollen ein umfassendes Bild über die Personalsituation im BMJ im Untersuchungszeitraum von 1949 bis 1973 haben. Wir wollen genau nachvollziehen, inwiefern das Justizministerium die Vorwürfe untersucht, welche Maßnahmen es ergriffen und ob sich die Belastung der Mitarbeiter auf Gesetzesvorhaben ausgewirkt hat.

Zur Person:
Christoph Safferling, Jahrgang 1971, ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Marburg und dort auch Direktor des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse. Studiert hatte er in München und London. Er habilitierte in Erlangen.

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