Bärbel Dieckmann: "Boomtown hilft benachteiligten Kindern"

Bonns Oberbürgermeisterin widerspricht Behauptung der Wohlfahrtsverbände, wonach arme Kinder in Bonn Verlierer seien

  Hält das soziale Netz für Kinder  in Bonn für gut, sieht aber auch noch Verbesserungsbedarf: Bärbel Dieckmann.

Hält das soziale Netz für Kinder in Bonn für gut, sieht aber auch noch Verbesserungsbedarf: Bärbel Dieckmann.

Foto: Frommann

Bonn. "Kinder als Verlierer in Boomtown Bonn". Mit diesem provokanten Untertitel ihrer derzeitigen Kampagne gegen Kinderarmut haben die beiden Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie und der Verein Sterntaler auch bei Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann für Unmut gesorgt.

Sie ist der Meinung, dass Kinder vielmehr die Gewinner in dieser Stadt sind. Über die Facetten von Kinderarmut in Bonn, über das Hilfsangebot der Stadt und warum man Kinder aus armen Familien möglichst früh unterstützen muss, sprachen Lisa Inhoffen und Frank Vallender mit der OB.

General-Anzeiger: Frau Dieckmann, was stört Sie an der Kampagne der Wohlfahrtsverbände?

Dieckmann: Die Kampagne ist gut. Ich begrüße, dass Caritas und Diakonie den Fonds Robin Good aufgelegt haben, der es ermöglicht, benachteiligte Kinder zu unterstützen. Ich wünsche mir, dass viele Menschen dafür spenden.

Falsch aber ist die Behauptung, dass Kinder die Verlierer der Boomtown Bonn sind. Das Gegenteil ist richtig. Weil es Bonn relativ gut geht, ist die Stadt eher in der Lage zu helfen, als Kommunen, die in schwierigen finanziellen Verhältnissen leben. Boomtown hilft benachteiligten Kindern.

Kinderarmut bedeutet ja nicht nur, dass Eltern ein niedriges Einkommen haben. Armut unter Kindern bedeutet auch unzureichenden Zugang zur Bildung oder Arbeitslosigkeit in den Familien. Nicht selten sind Kinder aus Migrantenfamilien betroffen oder Kinder, die in Stadtteilen leben, wo die Wohnbedingungen nicht immer ideal sind. Genau hier setzt die Aufgabe der Stadt Bonn ein.

Gerade weil wir eine gute finanzielle Ausstattung haben, können wir diese Kinder unterstützen. Das tun wir auf vielfältige Weise, durch Offene Ganztagsschulen, Kindergärten, Plätze für Kinder unter drei Jahren, Familienzentren, Spielhäuser, durch die Unterstützung der Wohlfahrtsverbände oder durch Ferienangebote für Kinder.

GA: Jeden Tag begegnen die Mitarbeiter der Wohlfahrtsverbände nach eigenen Aussagen "Kindern in großer Not". Rund 8 000 Kinder leben nach Angaben der ARGE von staatlichen Sozialleistungen. Sind diese Kinder aus Ihrer Sicht nicht arm?

Dieckmann: Ich würde mir in Deutschland eigentlich einen anderen Begriff wünschen. Armut ist relativ. Sie wird am Durchschnittseinkommen eines Landes gemessen, und das ist in Deutschland eher hoch. Es gibt Unterschiede zwischen Armut in Deutschland und Armut in Afrika.

Bei uns ist Armut vor allem Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe. Darauf möchte ich mich konzentrieren. Dieser Mangel hängt nicht nur mit Geld zusammen, sondern auch mit der Fähigkeit von Eltern, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Kindern gute Lebenschancen zu eröffnen.

GA: Wenn es in Bonn also Kinderarmut in den verschiedensten Ausprägungen gibt, dann können Sie ja froh sein, dass es die Kampagne der Wohlfahrtsverbände gibt?

Dieckmann: Das bin ich auch. Aber auch die Stadt tut vieles. Wenn wir für 44 Prozent der Grundschüler auch aus gering verdienenden Familien Plätze in der offenen Ganztagsschule zur Verfügung stellen, ist das ein Ergebnis der Boomtown Bonn. Wir machen Hilfsangebote in ganz großem Umfang. Jedes Kind hat in Bonn einen Kindergartenplatz.

Für Kinder unter drei Jahren gibt es 17 Prozent Plätze, im Landesdurchschnitt sind es sieben Prozent. Wir schaffen weitere Plätze. Das ist wichtig, weil Unterstützung möglichst früh beginnen muss, nicht erst in der Schule. Und wir erhalten den Bonn-Ausweis, ein sozialpolitisches Instrument, das viele Städte aus finanziellen Gründen längst nicht mehr anbieten.

GA: Kann die Stadt mit dem sozialen Netz speziell für Kinder zufrieden sein?

Dieckmann: Wir haben ein sehr gutes Angebot - obwohl auch ich weiß, dass man immer noch mehr tun kann. Unsere Arbeit verbessern wir zum Beispiel in wohnortnahen Familienzentren, die wir jetzt einrichten. Das werden wichtige Kontaktstellen.

Wir denken darüber nach, wie wir Kinder auch auf andere Weise noch früher als bisher erreichen können. Wir prüfen beispielsweise, welche Elemente aus dem Dormagener Modell realisierbar sind, wonach Mitarbeiter der Stadt jede Familie mit einem Neugeborenen zu Hause besuchen.

In Frage kommt auch ein Modell, wonach Hebammen die Familien aufsuchen. Ich bin übrigens dafür, dass die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder verpflichtend durchgeführt werden. Je früher Risiken oder Entwicklungsstörungen entdeckt werden, um so größer sind die Erfolgsaussichten.

GA: Und ab wann gibt es für alle Kinder, zumindest für alle sozialen Härtefälle, das kostenlose Mittagessen nicht nur in den Ganztagsgrundschulen, sondern auch in den Kindergärten und an den weiterführenden Schulen?

Dieckmann: Wir werden nicht pauschal ein kostenloses Essen für alle Kinder anbieten. Aber wir prüfen auch das Landesmodell. Wir untersuchen zurzeit, was an den weiterführenden Schulen möglich ist. In den Kindergärten engagieren sich private Stiftungen. Wichtige Arbeit leistet zum Beispiel der Verein Sterntaler. Das ist wertvolles, gesellschaftlich unverzichtbares Engagement, für das ich danke.

GA: Wie passt die geplante Einsparung von rund einer Million Euro an Hilfen für Erziehung zu den Bemühungen der Stadt im Sinne bedürftiger Kinder?

Dieckmann: Es geht überhaupt nicht um finanzielle Einsparungen, sondern um einen effizienten Einsatz der städtischen Gelder bei der wirtschaftlichen Jugendhilfe. In der kommunalen Familienpolitik haben wir trotz schwieriger Finanzen nie gespart, sondern die Ausgaben erheblich und in Millionenhöhe gesteigert.

Bei dem von Ihnen genannten konkreten Beispiel geht es darum, die Mittel der Jugendhilfe sinnvoller als bisher einzusetzen. Ich bin sicher, wir in Bonn sind auf einem guten und richtigen Weg. Den werden wir fortsetzen.

Zur Person:

Bärbel Dieckmann ist seit 1994 Bonner Oberbürgermeisterin. Seit 2001 ist sie im Parteivorstand der Bundes-SPD, seit 2005 deren stellvertretende Vorsitzende. Von 1974 bis 1995 war sie als Lehrerin, zuletzt als Studiendirektorin, tätig. Dieckmann hat zahlreiche Ehrenämter inne.

So ist sie unter anderem Vorsitzende des Weltbürgermeisterrats zum Klimawandel und Exekutivpräsidentin des Rates der Gemeinden und Regionen Europas. Die 58-Jährige ist verheiratet mit Jochen Dieckmann, dem früheren NRW-Finanzminister und SPD-Landesvorsitzenden in NRW und bekam zweimal Zwillinge - alle vier erwachsen.

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