Interview mit Felix Sturm Felix Sturm: "Alles ist viel größer, als ich dachte"

KÖLN · In Sydney entschied Adnan Catic im September 2000, sein Leben zu verändern. Aus der Olympiamedaille war für den gebürtigen Leverkusener nichts geworden. Für den Amateur-Europameister stand dennoch fest, sein Glück als Boxprofi zu suchen. Und, dass er sich den Künstlernamen Felix Sturm zulegen würde.

"Mit einem deutschen Namen stoße ich auf größere Akzeptanz", erzählte Catic damals auf dem Rückflug. Sein Glück hat Sturm gefunden - familiär wie sportlich. 15 Jahre nach dem Wechsel ins Profilager zieht der 36-Jährige an seiner Trainingsstätte in der Kölner Südstadt mit GA-Sportredakteur Berthold Mertes und dem Boxexperten Ulf Zimmermann Bilanz. Und blickt voraus auf den Kampf gegen den Russen Fedor Tschudinow, in dem er am 9. Mai zum fünften Mal Weltmeister werden will - erstmals im Supermittelgewicht.

Herr Sturm, wann haben Sie das letzte Mal mit ihrem Sohn Lego gespielt?
Felix Sturm: Gestern erst habe ich ihm ein neues Spiel mitgebracht und wir haben es gemeinsam zusammengebaut. Das machen wir sehr oft und äußerst gerne. Autos, Burgen, was auch immer. Er hat viel Spaß dabei.

Also haben Sie auch in den besonders intensiven, letzten Vorbereitungswochen auf ihren Kampf Anfang Mai genug Zeit für die Familie?
Sturm: Ich schaue, dass ich abends da bin. Auch wenn es ein hektischer Tag ist wie am Mittwoch: Um 7 Uhr die erste Trainingseinheit, dann nach Frankfurt zu einer Pressekonferenz. Als ich um 20 Uhr nach Hause kam, war er noch wach. Wir haben eine Viertelstunde getobt, dann ist er bei mir auf dem Arm eingeschlafen.

Bilderbogen der Karriere von Felix Sturm
9 Bilder

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Ihr Sohn ist fünf Jahre alt, und seit zwölf Wochen haben Sie auch eine Tochter …
Sturm: Die Kleine bekommt noch nicht so viel mit, lacht aber schon. Sie merkt die gute Stimmung zu Hause. Das Familienleben ist mir sehr wichtig.

Und das lässt sich mit dem Profiboxen verbinden? Außerdem sind Sie ja als Promoter und Produzent eines Energie-Getränks auch noch unternehmerisch tätig.
Sturm: Der Vorteil ist: Ich bin nicht dauernd unterwegs wie Fußballer zum Beispiel. ich beschränke mich auf zwei Kämpfe im Jahr. So habe ich genug Zeit für die Familie und mich.

Boxt der Kleine Ihnen schon mal ans Bein?
Sturm: Klar, der sieht ja, was ich mache und versteht schnell.

Wenn er Spaß daran hat, soll er auch Boxer werden?
Sturm: Mein Wunsch wäre es nicht unbedingt, aber oft kommt es im Leben anders als man denkt. Er liebt alles mit dem Ball, ich hoffe das bleibt so. Aber am Ende des Tages ist er ein erwachsener Mann. Dann möchte er selbst entscheiden, in welchen Traum er all seine Kraft investiert.

Würden Sie versuchen, ihn davon abzubringen?
Sturm: Wenn man seinen Kindern Steine in den Weg legt, dann baut man eine Mauer zwischen sich und ihnen auf. Daraus könnten im späteren Leben Spannungen entstehen, das möchte ich nicht.

Wie war es bei Ihnen?
Sturm: Meine Eltern waren fünf Jahre lang dagegen. Erst als ich mit 17 Junioren-Europameister geworden bin, haben sie gesagt: Wir sehen, wie sehr du diesen Sport liebst. Du bist nicht auf der Straße, sondern jeden Tag im Gym. Das ist wirklich deine Leidenschaft und wir unterstützen dich, wo wir können. Das hat sich ausgezahlt.

Was lernt man beim Boxen? Ist es eine Lebensschule?
Sturm: Es gibt kaum einen Sport, in die man so gut Lebensmut lernen kann. An sich selbst zu glauben, an seine Ziele.

Und Disziplin?
Sturm: Disziplin muss man grundsätzlich im Sport haben, um erfolgreich zu sein. Bei uns ist es wie bei Journalisten: Wir machen auch Überstunden und arbeiten an den Wochenenden –weil wir das Feuer der Begeisterung in uns spüren.

Wird man als Boxer zum Einzelkämpfer?
Sturm: Überhaupt nicht: In den Amateurmannschaften herrscht ein riesiger Zusammenhalt nach dem Motto: Einer für alle, alle für einen. in diesem Sport kann man von Freundschaft über Disziplin bis Mut alles lernen fürs Leben.

Baut man eher Aggressionen auf oder ab?
Sturm: Boxen wird leider häufig in diese Aggressions-Schiene gedrückt. Aber schauen Sie sich im Fußball um. Im Gegensatz dazu kann ich mich nicht erinnern, wann in unserer Sportart Fans aneinandergeraten sind. Das gilt auch für das, was im Ring und auf dem Feld passiert. So wie Fußballer sich manchmal in die Hacken treten, wäre es vielleicht besser, wenn sie 190 Minuten spielen würden: Die ersten 100 Minuten zum Aufwärmen, damit sie sich 90 Minuten auf das Spiel beschränken.

Wie ist es im Boxen?
Sturm: Um in die Weltspitze zu kommen, braucht man eine gewisse Intelligenz und eine große Portion Selbstbewusstsein. Leute, die mit Aggression reingehen, kommen nicht weit nach vorne.

Sie sind jetzt 36 Jahre. Fällt es Ihnen schwerer, sich auf ein großes Ziel wie den Kampf gegen Tschudinow zu fokussieren?
Sturm: Nein, das Alter spielt noch keine Rolle. Mein Umfeld stimmt und ich erlebe so etwas wie einen zweiten Frühling. Die neue Gewichtsklasse, das neue Trainer-Team. Ich habe mich einerseits weiterentwickelt, andererseits kommen alte Dinge zurück.

Welche?
Sturm: Vielleicht hatte ich mich in der Vergangenheit häufiger zu sehr auf eine Sache konzentriert - auf Kraft, auf Ausdauer oder auf das Punchen. Als ich durch einen K.o.-Sieg Weltmeister geworden war, habe ich es nur mit Draufhauen versucht. Aber das Boxen hat aber so viele Komponenten. Ich bin seit 25 Jahren in dem Sport und versuche nichts mehr mit Gewalt.

Fühlen Sie sich nie als alter Boxer?
Sturm: Keineswegs, und nicht nur, weil viele mich aufgrund des Äußeren noch auf Ende 20 schätzen. Von der Energie her gibt es kaum einen Sportler, der mithalten kann.

Fühlen Sie sich auf dem höchsten Level Ihrer Karriere?
Sturm: Ich habe zu viele Höhen und Tiefen erlebt, um das zu behaupten. Das Ergebnis sieht man immer im Ring. Als ich zum vierten Mal Weltmeister geworden war, wurde ich wie ein Superstar hingestellt. Dann eine Niederlage, und schon hieß es: die Karriere von Felix Sturm hängt am seidenen Faden. So bekommt man schnell den Stempel aufgedrückt – insbesondere in der heutigen Medienwelt.

Bleibt der Spaß am Sport schon mal auf der Strecke?
Sturm: Den Spaß am Boxen werde ich in den nächsten drei bis vier Jahren und den sechs bis acht Kämpfen, die ich noch machen will, sicher nicht verlieren.

Beschreiben Sie den Reiz?
Sturm: Ich habe Spaß am Kämpfen, liebe die Herausforderung, dieses Kribbeln. Was bringt der Gegner, was meint er, was ich bringe. Immer wieder an die Grenzen zu gehen, auch im Training. Auch wenn man manchmal richtig müde ist: Morgens um sieben auf dem Laufband bin ich oft glücklich, richtig zu schwitzen und durch alle Poren zu atmen.

Zu Ihrem Gegner am 9. Mai: Fedor Tschudinow. Der Russe hat eine Kampfrekord von zwölf Siegen, zehn davon durch K.o. – was sind seine Stärken?
Sturm: Er ist ein frischer Mann, hatte noch keinen Verschleiß. Ich muss auf der Hut sein.

Hat Sie sein jüngster K.-o.-Schlag gegen den Australier Ben McCulloch beeindruckt? Es war eine harte Rechte an die Schläfe des Gegners.
Sturm: Mein linker Haken ist auch gesalzen. Also schauen wir, wer öfter und besser trifft.

Wie fühlen Sie sich auf dem Weg von der Umkleidekabine in den Ring?
Sturm: Mein Kopf ist leer, ich denke nichts, ich bin dann auf Kriegsmodus.

Was denken Sie, wird in Tschudinow vorgehen?
Sturm: Er hat nichts zu verlieren und weiß, dass ich vor heimischem Publikum unter Druck bin. Klar muss ich eine große Leistung bringen. Ich will Weltmeister werden.

Dahinter steht das große Ziel des Kampfs gegen Arthur Abraham, oder?
Sturm: Ja, ich hoffe noch vor Ende des Jahres. Wir wollten ja schon am 9. Mai gegeneinander boxen, aber der Promoter von Stieglitz hatte etwas dagegen. Also müssen wir den Umweg gehen.

Ärgerlich oder?
Sturm: Vielleicht ist es sogar besser für mich. Ich kann ein Kapitel Boxgeschichte scheiben, wenn ich zum fünften Mal Weltmeister werde - in einer zweiten Gewichtsklasse. Zudem denke ich, dass Arthur gegen Stieglitz gewinnt. Dann können wir den Vereinigungskampf bestreiten. Es wäre das i-Tüpfelchen, wenn es um zwei Titel geht in diesem Kampf.

Welcher Geist ihres verstorbenen Trainers Fritz Sdunek lebt in Ihren Kämpfen weiter? Was hat er Ihnen mitgegeben?
Sturm: Es ist ein mulmiges Gefühl, er war mein zweiter Profitrainer. Er hat mich nach vorne gebracht.

Sie hatten auch schwere Zeiten ..
Sturm: Aber vor allem sehr erfolgreiche. Gottseidank hatten wir diesen gemeinsamen großen Erfolg vor seinem Tod, als wir zum vierten Mal Weltmeister geworden sind. Es war sein 100. gewonnener WM-Kampf.

2000 hatten Sie, Adnan Catic, nach dem Aus in Runde drei des Olympischen Turniers auf dem Rückflug von Sydney viel zu erzählen: Über Ihren Namenswechsel und den bevorstehenden Start der Profikarriere. Was ist aus Ihren Zielen geworden?
Sturm: Alles ist viel größer geworden, als ich dachte. Wenn ich meine damaligen Vorstellungen als Skala von eins bis zehn nehme, dann reicht die nicht aus. Ich wurde früh Weltmeister, verlor gegen Oscar de la Hoya, wurde wieder Weltmeister, habe inzwischen mein eigenes Unternehmen gegründet.

Das Glanzlicht?
Sturm: Selbstverständlich der Kampf 2004 gegen de la Hoya.

Trotz der Niederlage?
Sturm: Ich glaube ich war 1:15-Außenseiter. Dass ich ihn so klar dominiere und den Titelverteidiger schlage, hätte keiner gedacht. Ich zehre noch immer von dem Kampf.

Einen Moment, Sie haben damals verloren. Was wäre geworden, wenn die Kampfrichter Sie zum Sieger erklärt hätten?Sturm: Klar hatte ich eine Rückkampf-Klausel. Und ich bin der Überzeugung, dass ich ihn beim zweiten Mal auch geschlagen hätte, vielleicht noch deutlicher. Aber egal, für mich war es positiv. Am 5. Juni ist der Kampf elf Jahre her, aber man redet noch immer darüber, auch in den USA. Von dort bekomme immer wieder Kampfangebote.

Wie lange boxen Sie noch?
Sturm: Ich habe mir eine Grenze gesetzt: Bis 39 möchte ich maximal boxen, dann will ich aufhören.

Und vorher noch einmal in Las Vegas?
Sturm: Gerne, wenn sich ein Kampf ergibt. Aber wir machen hier so viele schon Veranstaltungen. Bisher zehn, und sie sind äußerst positiv angekommen.

Das gilt auch für das Duell mit Tschudinow in Frankfurt?
Sturm: Ja, von den 8500 Plätzen in der Festhalle haben wir über 90 Prozent verkauft. In der 400-Euro-Kategorie sind wir ausverkauft, in der 29-Euro-Kategorie auch. Es sind noch unter 1000 Tickets zu verkaufen in der 19-Euro-Kategorie.

Kommt Ihr Freund Lukas Podolski auch?
Sturm: Ich habe mit ihm telefoniert. Aber er spielt leider am darauffolgenden Tag. Er wird nicht freibekommen.

Aber viele andere Prominente aus dem Fußball und der Musikbranche werden am Ring sitzen. Für Ihren Sohn eine aufregende Geschichte. Wie reagiert er?
Sturm: Vor einem Jahr hat es ihn noch ziemlich genervt. Er hat den Kopf weggedreht oder sich hinter mir versteckt. Aber jetzt nicht mehr.

Wie bringen Sie ihm bei, damit umzugehen?
Sturm: Wir investieren viel Zeit, um ihm das zu erklären. Er ist ein aufgeweckter Junge und versteht sehr schnell sehr viel. Wir versuchen ihn so zu impfen, dass es in der Welt nicht nur Freunde gibt. Dass nicht alles Sonnenschein ist, nicht alles Gold, was glänzt. Er hat verstanden, dass ich anders bin als andere Väter. Dass ich im Fernsehen stattfinde.

Könnte eine Niederlage gegen Tschudinow Ihre Pläne über den Haufen werfen, bis 39 weiterzumachen?
Sturm: So denke ich nicht, sondern positiv. Dieser Gedanke existiert in meinem Kopf nicht.

Wie schaffen Sie das?
Sturm: Ohne Überheblichkeit: Ich lebe in einer anderen Dimension. Mein Trainer und ich: Wir leben diesen Sport wie noch vielleicht sechs andere Sportler auf der Welt.

Nennt sie eigentlich noch jemand Adnan?
Sturm: Ja, meine ganze Familie – wie viele andere Boxer habe ich einen Künstlernamen, durch den ich bekannt geworden bin.

Welcher Name ist Ihnen lieber?
Sturm: Das ist gleich, ich überlasse es jedem - mein Sohn nennt mich übrigens Ado.

Zur Person

Felix Sturm ist der Künstlername von Adnan Catic, der am 31. Januar 1979 in Leverkusen geboren wurde. 2000 wurde er Amateur-Europameister im Halbmittelgewicht, verpasste die erhoffte Olympiamedaille. Seine ersten 20 Profikämpfe gewann er, es folgte 2004 die unverdiente Niederlage gegen Oscar de la Hoya.

Kampfrekord: 39 Siege (18 durch K.o.), 4 Niederlagen, 3 Unentschieden; viermal Weltmeister im Mittelgewicht.

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